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Ein gelungener Abend.
Wer alle Stücke des heutigen Abends zum zweiten Mal in seinem Leben hört, darf sich nach der anstehenden Wahl zum Abgeordnetenhaus als legitimen Kandidaten für den Posten des Kultursenators betrachten. Ich höre alle zum ersten Mal.
Im Mittelpunkt steht Karol Szymanowskis optimistisches Violinkonzert Nr. 2, entstanden im pessimistischen Jahr 1932. Den Solopart spielt Daniel Stabrawa technisch und intellektuell angemessen sowie fern allem Soloexhibitionismus und nah am heiß klopfenden Herzen des Stücks. Szymanowski liebe ich (Szymanowskis Konzertouvertüre ist der souveränste aller Don-Juan-Klone, Asher Fisch dirigierte sie am selben Ort vor einiger Zeit). Das Violinkonzert des Polen kennzeichnen ein unglaublicher Schwung und eine schillernde Farbenfülle. Es ist interessant, wie Szymanowski eine Sprache entwickelt, die den Versuchungen des radikalen Strawinsky-Schönberg-Milhaud-Bartók-Komplexes im Großen und Ganzen widersteht, um sich für eine ungewöhnlich lebhafte und tadellose Symphonik mit schwingenden Konturen zu entscheiden, und das Ganze dann auch noch mit wunderbar sicherer Hand beherrscht. Für die pflichtbewussten Orchestermusiker ist dies Anlass, die so delikaten wie dicht gewebten Mittelstimmenstrukturen mit Lust am flirrenden Fließen nachzubilden.
Damit zu Roussel. Nicht alle Werke dieses Komponisten sind auf so zarte Weise festlich gestimmt wie Le Festin de l’Araignée. Geschrieben 1912, folgt es dem damals innovativen Konzept „Leise anfangen, leise aufhören, dazwischen ist alles erlaubt“. Diese féérie animalière ist eine Art Biene Maja in Musik gesetzt und zeigt großes Interesse an den Eigenheiten des Lebens von Insekten. Musikalisch gesehen ist Roussels Haltung durch und durch debussyisch – subtile Motivgesten der klangsicher gesetzten Instrumente schließen sich zu locker gefügten Texturen zusammen. Tupfer der goldenen Hörner und virtuose Harfenglissandi erweitern Idiom und Farbpalette. Das Stück beginnt und schließt mit einer jener Flötenkantilenen (Mathieu Dufour), die so durch und durch französisch sind, wie dies nur noch ein Baguette auf dem Boulevard des Italiens sein kann. Ich wurde aufs Beste unterhalten.
Schließlich, was ist mit Rameaus Les Boréades? Es handelt sich um Musik vor der Erfindung des Sonatenhauptsatzes. Gott sei Dank wird die redundante Nutzung des Soli-Tutti-Gegensatz durch die launische Virtuosität von Solohorn und Solofagott in Schach gehalten. Vier würdevolle Fagotte spielen. Keine Trompeten – obwohl die subtilen Holzbläsermischungen mehr als einmal klingen, als gäbe es doch Trompeten. Man geht nicht zu weit, die Boréades-Suite als als eine Musik von äußerster Lebhaftigkeit der M0tiverfindung zu bezeichnen. Zusammenstellung der Stücke: S.R.
Fazit: verführerische Eindrücke aus den Randbezirken der Konzertprogrammatik. Erfrischend kurzes Konzert. Und der Rameau ist selbst für hartgesottene Barock-Skeptiker wie mich kurzweilig.
Wieder eine halbe Stunde früher als ich! Und natürlich viel mehr Details gehört, chapeau, Herr Schlatz.
Bin trotzdem mal so frei: https://hundert11.wordpress.com/2016/02/26/25-2-2016-arachnophonia-rattle-und-die-philharmoniker-saeuseln-und-sauseln-roussel-szymanowski-und-rameau/
Ernenne Sie gern zum Kultursenator.
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Nee, nee, von wegen Kultursenator. Ich habe alles zum ersten Mal gehört.
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Pingback: 25.2.2016 – Arachnophonia: Rattle und die Philharmoniker säuseln und sauseln Roussel, Szymanowski und Rameau – hundert11 – Konzertgänger in Berlin
und die Flötensolo der Grande Flute über sordinierten Violinen sind im Prelude „lent“ zu spielen und am Schluss ebenfalls „lent“ und gleichen sich motivisch sehr genau! Das Konzert gefiel mir sehr gut. Ich liebe Roussels Ballet gleichfalls! Mein Respekt für die klasse Leistung der Harfenistin! LG MK
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Sehr gutes Konzert. Programm abseits des üblichen. Schöne Praxis, die Solisten aus den eigenen Reihen zu nehmen… besonders in diesem Fall, wenn ich nicht irre ist Daniel Stabrawa Pole. Unwahrscheinlich welche Grimassen Sir Simon schneidet. Sass Podium und konnte mich nicht von Rattles Mimik losreissen. Hat nicht Michael Gielen irgendwo in seiner Autobiographie sinngemäss geschrieben: als Dirigent hervorragend, aber ich versteh nicht iwe die Musiker das aushalten. :) Rattle zeigt dann auch im Laufe des konzerts sehr gut dass die fetten etablierten Ensembles bei entsprechendem Engagement auch einen Barockklang jenseits von bräsig & schlepptempo hinbekommen
Und so komisch es klingt. Das abgedrehte Ballett von diesem Roussel hatte mehr Sexappeal als mancher Sacre.
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Vielen Dank für Ihren Kommentar.
Jaja, Rattle ist lustig. Und Podium ist immer so eine Sache. Eine Brahmssinfonie klingt da wie ein Konzertstück für vier Hörner mit obligatem Orchester und eine Beethovensinfonie wie ein Paukenkonzert (ausgenommen die Sechste). Aber ab und an ist Podium OK. Man hört von dort recht gut, was für eine Arbeit die Blechbläser verrichten und wie jeder Hornist einen Tick anders bei Linienführung, Phrasierung, Timbre ist. Sehr interessant. Und von C aus klingt dann alles wie aus einem Guss. Aber bei Bruckner hatte ich tatsächlich schon akute Ohrenschmerzen beim ffff. Naja, auch schon beim fff.
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Gielens AB hab ich gelesen, da steht nichts dergleichen drin.
Womit nicht gesagt ist, dass es in der Sache nicht stimmte…
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Ist ja ekelhaft wie der Brug auf seinem Klassik Blog gegen Barenboim stänkert. Vor Weihnachten hatte unser lieber Bruggi stänkerte er auch zwei Mal gegen Barenboim.
Geht nicht.
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Habe ich letztens gar nicht gelesen. Das vom Dezember fand ich allerdings auch schon grenzwertig, wo er mosert wegen der Besetzung von Nebenrollen in La Traviata und Meistersingern. Hoppla, was für ein wichtiges Thema aber auch. Naja, wenn der Brug das braucht für seinen Blog.
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Verfolge via Concert Hall. Die Geigen klingen schon sauschön. Stabrawa sehr gut, viel Gefühl. Leichter, eleganter Ton. Hat aber weniger Power als die Top 30 Solisten, dass muss man sagen. Ich wusste gar nicht, dass der Hartmann so gut Englisch Horn bläst, wenn Wollenweber mal nicht da ist (im Roussel)
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Die DCH ist die absolute Notlösung für mich, falls es ausverkauft ist oder sonstwie nicht klappt. Christoph Hartmann fand ich auch sehr hörenswert. Witzig übrigens, dass die Fagottisten mehrheitlich (?) vom DSO waren. Die Karoline Zurl wäre durchaus eine Bereicherung für BPO
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Cooles Pausengespräch zwischen Stabrawa und Seegers. Unaufgeregt, informativ. Über Karajan. Seegers: Klang kommt 1/10 bis 1/100 Sekunde später bei ihm an. Sie finden beide, dass vor 30 Jahren erfolgreicher, dh. wohl so viel wie erfüllter muszizert wurd4
Tip für die Macher der Concert Hall: es wäre ein nettes Extra wenn man die Partitur simultan mitlaufen lassen könnte?
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