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Kurz vor Weihnachten auf Konsum verzichten? Iwo. Besser Zeit und Geld für was Sinnvolles nutzen. Philharmoniker sind auch Konsum. 

Der Stoff: eine typische Ménage à trois. Zur Geschichte muss man sonst nur so viel sagen: Im französischem Hochadel herrscht Ödnis von Tschechow’schem Ausmaß. Doch das Personal ist feinfühlig wie Flaubert.

Die Musik: zugleich hermetisch und hyperluzide. Der transparenten Ökonomie des Orchesterklangs macht auch das 21. Jahrhundert noch nichts vor.

Simon Rattle beflügelt zu leidenschaftlichem Strömen der Musik. Die Berliner Philharmoniker können heute beides, schimmernde Oberfläche UND dunkle Geheimnisse. Die Posaunen tönen wie uraltes Moos. Aus den Schalltrichtern der Hörner fließt ewiges Quellwasser. Dunkel die Bratschen. Die Trompete träumt von Freud.

Bei den Streichern verdichten sich Legato-Zusammenhänge immer wieder zu undurchdringlicher Hitze. Oh, mon Dieu. Der Schluss von Akt 4 war schon nett.

Peter Sellars inszeniert – ein bissl wenigstens. Sellars tut das solide und ohne der Musik die Schau zu stehlen. Frau Kožená läuft barfuß. Die drei huschenden Dienerinnen sind Schwarze, werden sogar festgenommen! Die ersten Geigen haben tendenziell eher selten einen halbtoten Bariton zwischen den Notenständern liegen. Neonöhren bezeichnen klug die im Raum verteilten Sängerorte. Das war’s mit Sellars. Der erste Akt klingt in der Oper geheimnisvoller. Aber nach der Pause geht endgültig die Post ab.

Wie aus Anlass des jüngsten Gounod-Fausts an der Staatsoper sei die Anmerkung erlaubt, dass keine französischen Sänger zum Einsatz kommen.

Christian Gerhaher gestaltet den empfindsamen Pelléas mit nobel timbriertem Bariton. Bewundernswert die hell aufstrahlende Vollhöhe. In Diktion und Vortrag höre ich kluge Gespanntheit. Indes, dem Bemühen um sauberes Legato steht ein expressives Vibrato entgegen. Das deutet eher auf deutsches Singen denn auf französisches chanter. So verliert das einzelne gesungene Wort ein Stück weit das unverwechselbare Relief.

Magdalena Kožená singt die geheimnisvolle Mélisande. Kožená hat für „Mes longs cheveux descendent jusqu’au seuil de la tour“ (Akt 3, Szene 1) einen vibrierenden, leuchtenden Seelenton. In dieser Oper sind alle grundsätzlich unbegabt für Smalltalk, niemand ist dies aber weniger als Mélisande. Kožená dürfte ja eine der wenigen Sängerinnen sein, deren charakteristisches Timbre auch ein Berliner Müllmann nach dem zweiten Feierabendbier auf Anhieb wiedererkennt. Die Höhe der Tschechin klingt zugleich keusch und glutvoll, doch stets instrumental. Ihre Halbstimme versteht Frau Kožená indes angenehm mit melancholischer Innigkeit zu verschatten.

Gerald Finley bemüht sich um den unglücklichen Golaud mit Ausdruck und tonlicher Schönheit. Gesanglich ist Finley subtiler als Gerhaher, näher an den Worten dran, besonders in der Feinabstimmung des Leisen.

Franz-Josef Selig gibt dem fast erblindeten Arkel seine mit allen Wassern der Sängerweisheit gewaschene, berührende Bassstimme. Bislang erlebte ich seine Stimme noch nicht so subtil. Eine schaurig-schattige, große Leistung.

Bernarda Fink ist Geneviève. Der Sänger des Yniold überzeugt mit klarem Kabensopran. Jörg Schneider der Arzt, Sascha Glintenkamp der Schäfer. Der Rundfunkchor Berlin stellt die Chorsänger.

Fazit: Diese Musik ist ein Intelligenztest. Bei Rattle ist das Bestehen garantiert. Gelungener Abend. „Gefühl süper“, wie Franck Ribéry sagen würde.

Aber wenn Sie in Kleinmachnow wohnen, sind Sie erst weit nach Mitternacht zu Hause.