Brucknerprogramm.

Die Achte ist wie ein Roastbeef. Der eine mag sie blutig, der andere schön durch. Blomstedts Achte mit den Berliner Philharmonikern war schön durch. Herbert Blomstedt dirigiert Bruckner mit Lässigkeit und offensichtlichen Freude. 

Was macht Blomstedt? Sein Temperament ähnelt eher dem von der Leyens als dem von Napoleon. Blomstedt ist freundlich, aber bestimmt. Bläsersolisten und Streicher agieren mit viel bestechend klarer Luft um sich herum. Das ist herrlich anzuhören.

Das Tempo ist gerade heraus, aber nicht zu zügig – passt. Ich merke: Es gibt eine Virilität bei Bruckner, die gut zum Mitsummen ist. Dann höre ich eine knochentrockene Erregbarkeit, die ich nicht sofort entdecke.

Blomstedts Handschrift geht in Richtung effektiver Bescheidenheit. Sein Handschrift ist aber sehr genau verfolgbar, beispielsweise im abgezirkelten Zurück- und Vorfluten der Dynamik, oder in der glatten Klangoberfläche.

Herbert Blomstedt dirigiert mit welken Händen. Die Hände wippen kenntnisreich und mürbe. In seinem Gesicht sitzen enorme Brauen. Der Bereich über der Nasenwurzel ist vor Sensibilität zerknittert. Kurz vor den Eruptionen schwenkt Blomstedt den Zeigefinger der Rechten aufgeregt hin und her. Der Höhepunkt wird dann mit zweihändiger Geste entlassen, eine Mischung aus Friedenstauben aus der Hand in die Luft werfen und „So, da habt ihr’s“. Notiert Bruckner fff, erscheint ein Ausdruck diebischer Freude auf Blomstedts Gesicht.

Das Scherzo hat für jenen Teil der Zuhörer, der sich nicht zum harten Kern der Bruckner-Fanatiker rechnet, sicherlich Längen, und zwar wegen identisch wiederholter Phrasen. Wer Freude am reinen Klang des Orchesters hatte, kommt im Trio auf seine Kosten. Apropos Mitsummen. Auf digitalconcerthall unbedingt ansehen, wie Blomstedt mit brüchiger und enthusiastischer Stimme das Thema des Scherzos singt: „Tim-ti-to-ti-too. Ti-ti-to-ti-too, Taam-ti-ti-ti-too, Taam…“

Ach herrlich, die drei Harfen nach dem zweiten Thema im Adagio.

Unter den Bläsern sind Emmanuel Pahud, Gabor Tarkövi, Andreas Ottensamer. Erstes Horn ist Jörg Brückner von den Münchner Philharmonikern – schwarze Brille, honiggoldenes Horn, Hindemithschädel, klarer Ton – Ende Adagio.

Das war alles nicht schlecht. Der befriedigendste Satz ist aber der letzte. Blomstedts bevorzugtes Klangbild ist hell, klar, unkompakt. Blomstedt lässt, was kompliziert ist, unkompliziert klingen, ohne Bruckner unkompliziert zu machen. Die Steigerung vor  dem 3. Thema klingt wie ein Schwank aus der germanischen Mythologie („Und dann fuhr Wotan einen Kiosk an, rammte ein parkenden Mercedes und sein Wagen überschlug sich mehrfach…“). Superschönes drittes Thema, naive, gut gelaunte Hörner („Und dann traf Wotan dieses nette Mädl…“). Bruckner scheint im Alter undramatische Finale-Ausgänge den dramatisch kontraktierten – Dritte – vorgezogen zu haben.

Während ich zuhöre, denke ich: Na, der erste Satz war doch erfrischend leicht. Blomstedt steht der Idee einer irgendwie gearteten Deutungshoheit wahrscheinlich ablehnend gegenüber. Weitere Stellen des Finales, die bleiben: Dieses Reinrutschen in die Durchführung. Der Reprisenbeginn gelingt zauberhaft. Aber es klingt eindimensionaler als bei Barenboim oder Rattle. Ich war fasziniert, aber nicht zufrieden (typisches Erwartungshaltungsenttäuschungsproblem).

Die Philharmoniker spielen die Haas-Fassung. In meiner Studienpartitur schreibt Haas, April 1939: „Zur inhaltlichen Bedeutung der Achten sei hier nur kurz des deutschen Michel-Mythos gedacht… Die Deutung dieses Mythos erscheint mir in der großdeutschen Idee als geschichtlicher Geisteshaltung gegeben. Es ist ein Zeichen der Vorsehung, dass die wiederherstellte Partitur gerade in diesem Jahr als Gruß der Ostmark erklingen kann.“ Auch an dieser Stelle ein Gruß in die Ostmark.

Ob Herbert Blomstedt weiß, dass er Herbert Feuerstein ähnlich sieht? Witzig, wie wenig hilfreich die Aussprachehilfe bei Wikipedia ist: [ˌhæɹːbəʈ ˈblʊmːstɛt]. Da lese ich ja schneller Chinesisch vom Blatt.