Herrje. Es war ein kurzer Abend. Kein Mozartabend. Keineswegs ein doller Wagnerabend. OK, ein Schostakowitschabend.
Der Autor hat Höhen und weniger hohe Höhen mit Nelsons erlebt. Die Höhen: Eroica, Staatskapelle, Schostakowitsch 8., Phillies, Rosenkavalier, Phillies. Die weniger hohen Höhen: ein rumpeliges Heldenleben, ein uninteressantes Berg-Violinkonzert, beides Mal mit den Philharmonikern. Heute erwartete ich Höhen. Hohe Höhen. Aber wie gesagt… herrje.
Mozart. OK, wenig geprobt. Nach dem Andante Moderato Nelsons bekannter, hektischer, beidhändiger Griff durchs Haupthaar. Der spektakulärste Moment im Allegro Assai war gekommen, als Nelsons
ganz nebenbei den Stab von der Rechten in die Linke wechselte. Das enttäuschende Gefühl nach KV319 ähnelte in etwa dem, 4 Stunden Barca zu schauen und Messi schießt kein einziges Tor. Weiter. Tannhäuser. Das Andante Maestoso schmeckt nach Barenboims Üppigkeits- und Übersensibilitätsgötterdämmerung vom Sonntag wie eine Kombi aus Bundeswehrkekse und Ausnüchterungszelle. Beim Venusberg-Allegro atme ich auf: Ich höre Tempo, Schwung, Feuer, wild entschlossene Geigen. Daniel Stabrawa mit Geigensolo. Es ist mir heute erneut aufgefallen, dass mir sein Ton besser gefällt als Braunsteins und Kashimotos.
In der Pause sehe ich weder Bekannte noch Menschen, die aussehen, als wollten sie mit mir die erste Konzerthälfte besprechen . Ganz wie’s bei Nestroy heißt: „Ich sehe schon wieder einige, die nicht da sind.“
Schostakowitsch. Largo. Andreas Blau mit meisterhaftem, sachlichem Solo (Flöte). Die Geigen ziehen klar und geheimnisvoll ihre mit köstlicher Schnödheit angefüllten Linien. Allegro. Nelsons wird lebendiger. Weiche, gelenkige Piccoloflöte (Hasel?). Presto. Nelsons hüpft. Der Kommentar meines Sitznachbarn zu Nelsons: „Der Dirigent mit der Knarre“. Etwas übertrieben, aber die Richtung stimmt.
Schostakowitsch, 6. Sinfonie: Der Sinn für (groß-) räumliche Entwicklung ist bei Nelsons hervorragend. Nelsons Philharmonikerklang ist kerniger, geerdeter, weniger glasklar als der von Mariss Jansons‘ Sechster 2008. Nelsons hat ein Gespür für die Schwere des sinfonischen Duktus. Er fordert die aufgedrehte Gewalttätigkeit der Bässe. Schön kommen die scharfen Profile der Themen raus, der Ramba-Zamba-Kubismus der Crescendi.
Fazit: Der Anfang war dazu angetan, der Frühjahrsmüdigkeit, die sich am Wochenende angesammelt hatte, in Form eines Nickerchens nachzugeben. Als die Philharmoniker beim Venusberg angekommen waren, war es Zeit aufzuwachen. Bei Schostakowitsch war kritische Konzentration angebracht.
Tag allerseits!
Ich muss entschieden widersprechen. KV Nr. 319 wurde von den Philharmonikern sehr beeindruckend interpretiert. Und nicht nur das. Die Tannhäuser Ouvertüre auch. Ganz ohne Waberklang à la Barenboim und vor allem schön konzentriert am Anfang und rauschhaft am Ende. Ich weiß gar nicht was es da rumzumäkeln gibt. Dass Andris Nelsons bei Schostakowitsch seine Trümpfe voll ausspielen kann, ist auch kein Geheimnis mehr.
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Nelsons Konzert = neuerliches Schaulaufen für den vakanten Philharmoniker-Thron 2018. Nelson ist 2012/13 der meistbeschäftigte Gastdirigent. Er dirigiert die Berliner in Baden-Baden. Daraus kann man nur einen Schluss ziehen. Nelsons ist z.Z. Phiharmonikers Darling.
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Nee, Mozart war nüscht
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Hab das Konzert eher als richtig gutes eingeschätzt, wenn vllt auch nicht so wie Nelsons Schosti Acht oder seine Eroica, aber das waren auch echte Sternstunden. Der Mozart-Sound hat nicht ganz zu Mozart gepasst, aber was Nelsons aus den paar Streichern rausholt, war schon doll – bei Rattle klingt die doppelte Besetzung oft dünner. Anfang Tannhäuser fehlte der da eigentlich komponierte Zauber, das stimmt.
@ Konzertdauer: ich mag die Programme, die vor zehn aus sind. Gibts – mM leider – nicht so oft in Berlin, wo ne Bruckner/Mahler IX. immer noch mit nem 40 min-Solokonzert gekoppelt werden muss…
@ Konzertmeisterton: ist nicht wirklich eine Kunst, einen schöneren Geigenton als Braunstein und Kashimoto zu produzieren…
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@Programme, die vor zehn aus sind
Nein, das ist nicht mein Ding. Ich brauche oft eine halbe Stunde, um reinzukommen. Dann ist auch schon Pause, und dann finde ich es schön, wenn es nicht gleich wieder zu Ende ist. Unter Karajan haben sie ja scheinbar auch Zugaben gegeben, und zwar nicht nur Silvester oder Waldbühne, wie man mir erzählt hat. Das wäre eine schöne Sache.
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Karajans Programme sind – insb. in seinen letzten Jahren in Berlin – recht kurz gewesen (und zwar, um den Berufstätigen mit verminderte Aufnahmefähigkeit gerecht zu werden!), so dass sie erst mit Zugabe auf um die zwei Stunden kamen, so zB: Schumann IV vor (sic!) der Pause, danach Ravel Pavane pour une infante défunte und Bolero, macht 60 min Musik, wenn überhaupt.
Letztlich eine Frage, wie man nach einem vollen Arbeitstag ein Konzert erlebt: braucht man erst eine halbe Stunde, um reinzukommen, oder kommt man sofort rein, hält dann aber nur für max. zwei Stunden durch. Ich gebe zu, ich gehöre recht häufig zu letzteren.
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Gestern in die Digital Concert Hall reingehört. War doch ganz passabel, die Sechste, besonders das Largo. Wie, Stefan Dohr war nicht da??
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Nein, da war kein Dohr da.
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