Puhh. Die 5. Walküre in 6 Monaten. Heute Abend in der Philharmonie Marek Janowski, das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin & sehr gute Solisten. Aha, Herr Thierse ist auch wieder da. Wer hätte einen ausdauernden Wagnerbewunderer in ihm vermutet? Nebliger Novemberabend. Philharmonie, fast ausverkauft.
Tomasz Konieczny: Alles in allem der beeindruckendste Walküren-Wotan der letzten 12 Monate. Realistischer in der Deklamation als René Pape (Barenboim, Staatsoper), präsenter als Terje Stensvold (Rattle, Berliner Philharmoniker). Ein Wotan, der Feuer unterm Hintern hat. Rhetorisch sehr stark. Hämmernd schallende Höhe. Sehr interessantes, trockenes, körniges Timbre, das im 3. Akt allerdings a ganz a bissl ermüdet- hier hätten es ein Paar Gramm mehr Pape’scher Schönheitszauber sein dürfen. Jans kleenes Manko: Tomasz Konieczny orientiert ein Lauter- oder Leiserwerden bisweilen nicht am Text, sondern am allgemeinen Phrasenbau. Aber geschenkt – ein großartiger Wotan.
Iris Vermillion: Fricka. Trägt leuchtend roten Samt. Eine Vollblutgattin, die ihrem Mann mit wohlkalkulierter Gestik und obendrein mit einem phänomenalen unteren Register zusetzt. Ihre Fricka hat das charakteristischste Timbre des Abends: von draufgängerischer Würze oben, dunkel leuchtend in der Mitte. Wenn Iris Vermillion ihre Spitzentöne setzt, so klingt es, als würde sie Konieczny eine Spritze in den Hintern rammen.
Melanie Diener: Sieglinde. Schulterfreies Oberteil in Rot, Rock in Blau. Kleiner Deko-Glitzi am straff zurückgelegten Haar. Melanie Diener = Typ instrumentale Stimme. Charakteristisch leuchtender Sopran, die Tiefe klangvoller als das mittlere Register, das Vibrato mit kleiner Amplitude und Frequenz, was unter Anspannung zum typisch Diener’schen, recht anregenden Flackern führt. Vereinzeltes ihrer Sieglinde hat einen fernen Klang von Donna Elvira oder öfters noch von Elisabeth. Einige Momente zählten zu den schönsten des Abends. Ich erinnere mich an das jubelnde, flutende A auf „Freund ersah“. Sääär schön. Schade, dass Melanie Dieners „O hehrstes Wunder“ im tremulösen Orchestertutti baden ging.
Robert Dean Smith: Siegmund. Weder Melanie Diener noch Robert Dean Smith traut man an diesem Abend zu, sich spontan in ein inzestuöses Verhältnis zu stürzen, noch dazu vor versammeltem Publikum. Beide haben hierzu zu viel Anstand und – es sei geklagt – zu wenig Temperament. Das Tempo im 1. Akt ist sehr gemütlich, was zu Wälserufen führt, deren zweiter fast so lang dauerte wie ein Meistersingerakt, nämlich staunenswerte 13 Sekunden. Rein stimmlich gesehen liegt Robert Dean Smiths mühelos und sehr sorgfältig geführtem Tenor der Siegmund perfekt. Hmm… – ich höre die US-amerikanische Vokalbildung durch. Dem orkanösen Jubel, den Smith einheimste, nach zu schließen, war ich der einzige Zuhörer im Saal, der mit Smiths Strategie, einen liedhaft leichten und zudem charakterlich supernetten Siegmund zu singen, nicht vollständig zufrieden war. Mal ehrlich, Peter Seifferts Siegmund klang doch ein bisschen mehr sexy.
Petra Lang: Brünnhilde, Rollendebüt. Schwarzes Glamour-Kleid, effektvolle rote Mähne. Führt sich mit ausgelassenen Hojotohos ein (burschikos angeschlenzte Hs und Cs). Nicht eigentlich eine hochdramatische Stimme, urteilt man nach Festigkeit und Gewicht der Stimme sowie nach Schallkraft in der Höhe. Das geht gut im 2. Akt, weniger aber im 3. Wow, sie singt die Brünnhilde von „Hojotoho! Hojotoho!“ bis „Auf dein Gebot entbrenne ein Feuer“ mit ermüdungsloser Stimme. Tolle 2. Szene im 2. Akt („Sieh, Brünnhilde bittet“, dann „Zu Wotans Willen sprichst du“). Die unvergessliche farbliche Nuance gelingt ihr eher nicht.
Timo Riihonen: Hunding. Zuverlässig und unauffällig. Rhetorisch ehrgeizig.
Das vorherrschende Thema des Pausengesprächs war folgendes: Muss man als gebildeter Mensch, was wir ja alle sind, die Namen aller Walküren kennen? Wir einigten uns darauf, dass man mindestens 3 kennen sollte. Ich kam nur auf 2, Brünnhilde inklusive. Meine Vorschläge Ortrune und Weißwige wurden nicht angenommen.
Marek Janowski dirigiert den Walkürenritt mit der Nase in der Partitur – inklusive häufiges Umblättern. Dirigiert Janowski noch zwei Wagnerzyklen in Berlin, wird man in der Hauptstadt nicht mehr von DEUTSCHER Gründlichkeit, sondern nur noch von POLNISCHER Gründlichkeit reden: Das Orchester machte einen hervorragend vorbereiteten Eindruck – ähnlich wie beim RSB-Tristan. Allerdings mächtig laute Bläser, bspw. das Englischhorn. Schöne Aktionen der Basstrompete. Aha, da wird ein Stierhorn auf die Bühne getragen. Janowski interessiert die Orchestergesamtmasse. Würde man allein nach Janowskis Gestik urteilen, hielte man es für komplett ausgeschlossen, dass es in der Walküre auch Aufgaben für Soloinstrumente gibt. Einsätze für die Sänger gibt Janowski so gut wie gar nicht. Aber warum nicht? In der Philharmonie soll jeder nach seiner Facon glücklich werden.
Zu Janowskis Temperament: Die tierischen Akteure von Janowskis Walkürenritt war eher polnische Kaltblüter als Wagnerische Warmblüter.
Kritik/Review: eine sehr hörenswerte RSB-Walküre mit einem vorzeigbaren Sängerensemble und einem bestens vorbereiteten Orchester.
Melanie Diener (Sieglinde), Petra Lang (Brünnhilde), Tomasz Konieczny (Wotan), Iris Vermillion (Fricka), Robert Dean Smith (Siegmund), Timo Riihonen (Hunding), Anja Fidelia Ulrich (Gerhilde), Fionnuala McCarthy (Ortlinde), Heike Wessels (Waltraute), Carola Höhn (Helmwige), Wilke te Brummelstroete (Siegrune), Kismara Pessatti (Schwertleite), Nicole Piccolomini (Grimgerde), Renate Spingler (Rossweiße)
Ein wunderbarer Abend, aber Sie vermissen das wichtigste Problem: Brünnhilde – Siegmunds „Todesduett“ hatte kein Drama und keine Gefühle. Es war zu langsam. Siegmund hatte es doch eilig. Für uns ist dieses Duett das Herzstück der Oper, nirgends im Ring gibt es solch einen selbstlsos Akt für die Liebe (durch Siegmund).
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Dass Robert Dean Smith einer der besten Wagnertenöre ist, dürfte schon seit längerem klar sein. Ich fand gerade seine Toderverkündung hinreißend, gerade weil der Tenor sich viel Zeit lässt und ich jede Sekunde, die Smith sang, in vollen Zügen genießen konnte.
Neben Smith beeindruckte mich Petra Lang besonders mit ihrem leuchtenden Sopran. Iris Vermillions Leistung würde ich eher als grenzwertig beurteilen. Die Fricka ist keine Herodias aus Salomé.
Das RSB war großartig. Anders wie scheinbar der Autor missfiel mir an der Walküre, die Simon Rattle dieses Jahr dirigerte, die Detailversessenheit. Auch vermisste ich bei Rattle die große Linie. Das bekam Janowski sehr viel besser hin. Bravo!
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Ein sehr schöner Abend.
Veto! Mich rührte Robert Dean Smiths gestische Zurückhaltung sehr. Ich habe schon genug Heldentenöre erlebt, deren offensiv zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein in ungekehrt proportionalem Verhältnis zu ihren Qualitäten als Sänger stand! Smiths Siegmund war die Seele des Abends.
Ich fand auch das divenhafte Gehabe von Frau Vermillion klasse. Und Petra Lang verkörperte eine faszinierende Brünnhilde mit toller Stimme und „roter Mähne“. Die beiden Damen haben sich nicht viel geschenkt!
Grüße
Ira
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Janowskis sich durch grimmige Effektivität auszeichnender Dirigierstil würde hervorragend in ein Lehrvideo für angehende Dirigenten passen :-)
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Insgesamt war ich von dem Abend wirklich begeistert!!
Allerdings muss ich der Eingangskritik in Bezug auf Melanie Diener und Robert Dean Smith recht geben, wobei Frau Diener noch besser bei mir wegkommt (sie hat sich redlich bemüht) als Smith.
Er war einfach nur langweilig in der Rolle des Siegmund. WO WAR DIE DRAMATIK!!!??? Es reicht nicht, nur „schön“ singen zu können!!! Ich fand ihn ganz furchtbar, einfach nur langweilig. Tut mir leid, aber alles mit lyrisch-schönem „Einheitsbrei“ zu übergießen ist keine Kunst. Durchgefallen!!
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Mein erster Abend beim Ring-Zyklus des RSB. Es gab Licht und Schatten. In den Akt-Vorspielen machte das RSB eine sehr gute Figur, keinerlei Effekthascherei, einfach nur sehr gute Handarbeit. Die Hörner spielten ebenfalls unsagbar schön. Zwischendurch fehlte mir dann allerdings der Funke etwas.
Ich bewundere Iris Vermillions physische Arbeit, aber das stimmliche Ergebnis haute mich nicht gerade um (säuerliche Spitzentöne). Ganz anders die anrührende Melanie Diener.
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„säuerliche Spitzentöne“ – ja, stimmt. Alles überm F klang scharf. Aber meinem Empfinden nach überwogen die die Pluspunkte deutlich. Der Eindruck hängt auch immer vom Letztgehörten ab. In der Barenboim-Walküre sang Gubanova ein fast schon schmerzlich schönes „Fülle das Maß“. Diese Stelle ging gestern ziemlich unter. Dafür war anderes toll.
Und: zwischen Vermilliion und Konieczny war echter Zunder drin.
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Ist ja jetzt schon eine Woche her – ich möchte trotzdem einige Anmerkungen zum Abend in der Philharmonie machen.
Ja, Robert Dean Smith KANN langweilig klingen. Ja, Robert Dean Smith KANN wie ein Thomaner kurz vor dem Stimmbruch klingen. Ja, andere donnern WÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄLSE ein paar Dezibel lauter. Ja,ja. Aber er kann auch ein verflucht schön singender Wagnertenor sein, und das ist genau das, was er im RSB-Konzert war. Schön, wenn dann solche Tenor-Schönheit zusammen mit Janowskis wohltuender Gemächlichkeit zu etlichen Glanzmomenten führten, wie es am Samstag Abend geschah. Smith schöpfte den ganzen Reichtum an dynamischen Abstufungen aus, den Wagner in der Walküre ausbreitete. Wie Smith seinerseits wieder das Tempo nutzte, um mit aller Kunst zu phrasieren, das war gut und gerne Weltklasse. Lobenswert auch, dass er so gut wie nie Volumen markiert: eine Wohltat. Man denkt ja auch immer gerne, dass man „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ schon viel schöner gehört hat – und dann wars wenn überhaupt Lauritz Melchior auf irgendeiner CD. Der heutige Abend wird wohl wie die vorangegangenen konzertante Abende auf CD herausgebracht. Ich kann mir gut vorstellen, dass auf dem Tonträger Smiths Stimme nochmals an Schönheit gewinnt.
Melanie Diener gefiel mir zuerst nicht besonders, was vermutlich an ihrer eher reduzierten Ausdrucksspanne lag. Sie schafft es nicht, bei „Der Männer Sippe“ oder bei „Dies Haus und dies Weib“ (Wagner schreibt hier vor, „düster und dunkel“ zu singen) den typischen dramatischen abgedunkelten Sieglinde-Ton zu treffen. Auch hat sie nicht immer genug Klang in der Stimme. Alles war anders, als Melanie Diener „Du bist der Lenz“ sang, warm, innig, in jedem Detail überzeugend. Timo Riihonen als Hunding hatte einfach das Pech, hinter dem Orchester positioniert zu sein. Sein ohnehin recht wolliger Bass hatte es schlicht und ergreifend verdammt schwer, über das RSB-Orchester in den Saal zu dringen.
Da ich dabei bin, lasse ich auch noch ein paar Worte zum RSB vom Stapel. Ich schätzte besonders den Ernst, mit dem Janowski einen sehr guten Weg zu Wagner und zur Walküre fand. Die Holzbläser fand ich toll, herauszuheben wären hier die Klarinettensoli und die Bassklarinette.
Grüße
A
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Janowski lässt keinen Text einblenden – ein Zeichen dafür, wie ernst es ihm um die Musik zu tun ist. Es ist übrigens ein unvergleichlicher Berlin-Bonus, zwischen Mai und November 4 verschiedene Walküren allerhöchster Qualität zu hören sowohl was Sänger als auch was Orchester angeht. Ich habe Janowski, Rattle, Barenboim und Runnicles gehört und bin der Meinung, dass alle Berliner Walküren genial waren.
Meine Favoriten vom sängerischen Gesichtspunkt:
1. RSB – Robert Dean Smith unschlagbar
2. Berliner Philharmoniker – wegen Evelyn Herlitzius‘ Brünnhilde
3. Staatsoper Barenboim – Traumkombi Meier, Seiffert, Pape
4. DOB
Vom Orchester/Dirigent her:
1. Rattle Berliner Philharmoniker
2. Staatskapelle Barenboim
3. Janowski RSB
4. Runnicles DOB
Bin zwar kein Rattle-Fan, aber das Potenzial, das die Philharmoniker abrufen können ist einfach gigantisch. Staatskapelle und RSB unter Janowski würde ich sogar gleichstellen.
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Höre aktuell noch mal in die gerade laufende Übertragung auf Deutschlandradio rein. Melanie Diener fehlen doch Exuberanz, Expressivität, Höhe, um erfolgreich mit einer gewissen Barenboim-Sieglinde namens Waltraud Meier zu konkurrieren.
Zu „einen fernen Klang von Donna Elvira oder öfters noch von Elisabeth“:
Ich fand auch was von Marschallin (z.B. mein Auge sah dich schon!), die sie vor kurzem ja gesungen hat. Aha, und ein paar kleine Problemchen hat sie schon mit der Höhe: schon wollt‘ ich beim Namen ihn nennen!
:-)
Das Vorspiel zum 2. Akt zackig, Bravo Marek Janowski.
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