Ein hörenswertes Konzert. Andris Nelsons dirigiert. In einigen Jahren wird der Satz, ein Dirigent dirigiere wie ein Affe, zu einer hohen Auszeichnung werden. Nelsons dirigiert so. Nelsons sieht von hinten aus wie ein Sack Kartoffeln, der immer kurz vorm Umkippen ist.

Egmont: Die Staatskapelle Berlin spielt roher, klobiger, kubistischer als sonst. Die erregende Kompaktheit, das ungezügelte Drauflos-Musizieren – Nelsons knubbelige Körperlichkeit scheint direkt in Musik übersetzt -, die Fähigkeit, das ganze Orchester mitzunehmen, machen die Egmont-Ouvertüre zu einem Knaller. Die Achtelfigur aus dem einleitenden Sostenuto dirigiert Nelsons so, wie ich mit 4 Flugzeug gespielt habe: flache Hand gefühlvoll durch die Luft gleiten lassen. Hat Thielemann das im Dezember 2009 mit den Wienern nur annähernd so mitreißend dirigiert? Nee.

Die Nachteile: Trockenheit bei so manchen Orchesterschlägen. Das Rumpelige mancher Crescendos und FFs gilt mir inzwischen geradezu als Markenzeichen Nelsons. Delikate Steigerungen sind Nelsons so fremd wie uns ein Marsmännchen, das nach der Arbeit Purcell hört.

Harrison Birtwistles Antiphonies sind ein muskulöser Halbstünder, der aus mindestens 2 Mrd. Noten besteht. Pierre-Laurent Aimard spielt mit nie nachlassender Klar- und Heftigkeit. Aimards Rechte produziert zwei, drei Spitzentöne von solch stählerner Poesie, dass ich für sie ohne Zögern einen ganzen Philharmoniker-Abend unter einem Dirigenten wie z.B. R…r N…….n hergeben würde. Zwei kraftvolle, unsachliche Buhs von Parkett hinten. Pierre-Laurent Aimard habe ich erst am Freitag durchs Foyer der Philharmonie streichen gesehen (bei Abbado).

Eroica: Großartigkeit der Vorwärtsbewegung, ungehinderte Kraft. Manches, weniges im ersten Satz (Übergänge) aber auch ohne Gewicht. In der Reprise des Allegros con brio knallt’s auf einmal. Ich schrecke hoch. Dann sehe ich: Die Kontrabässe schmeißen einen Notenständer um. Die Holzbläser spielen herrlich, frei. Die Staatskapelle überzeugt mit einer Wesentliches bei Beethoven treffenden Fähigkeit zu einer stockenden Bewegung. Das Adagio Assai ist von vorne bis hinten konsequent und von direktem Ausdruck und – frisch.

Eines der besten Konzerte der Saison. Im Februar dirigierte Nelsons ein „holziges“ Heldenleben, wie mir berichtet wurde (Philharmoniker). Nelsons Turandot an der Staatsoper hatte rohe Robustheit – fand ich. Das Berg-Violinkonzert mit den Phiharmonikern klang ziemlich prosaisch, die Schostakowitsch-8. im gleichen Konzert großartig. Ein Glück, dass die Staatskapelle unter Nelsons Beethoven spielt. Nicht wenige Plätze sind frei geblieben (Konzerthaus, Montag). Konzerthaus im Sommer: kühlen Wein trinken, auf der Freitreppe stehen, auf Schiller runtergucken.