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Liszt Der 13. Psalm/Listz Faust-Sinfonie
Sachte, sachte.

Zuerst geht es um Liszt. Das Ereignis war der Liszt. Barenboim kümmert sich seit zwei Jahren um Liszt. Zwei Mal beide Lisztkonzerte in Frühjahr, mehrmals Klavier solo (noch in der alten Staatsoper), heuer im Herbst einige der Orchesterwerke mit der Staatskapelle. Die Philharmoniker halten sich Liszt-mäßig zurück. Die Staatskapelle schlappt auf die Bühne. Als alle sitzen, sieht man 2 x 16 Geigen, 8 Bässe, 10 Celli. Der 13. Psalm und Faust. Konzertmeister Wolf-Dieter Batzdorf ist nicht da. Den 3. Teil vom Faust durchstehe ich nur, indem ich seufze „Ach, Liszt…“ Finales sind nicht so Liszts Sache, siehe Klavierkonzerte. Doch der Rest ist hinreißende Musik, gespielt von einer hinreißenden Staatskapelle. Barenboim rackerte. Niemand klatscht in den Pausen. Das ist bei den Philharmonikern inzwischen anders. Selbst bei Pollinis Soloabend klatschten die Leute nach den ersten beiden Sätzen der Schubertsonate.

"Schluss mit Tuscheln! Wenn jetzt nicht gleich Ruhe ist, spielen wir anschließend den ganzen Tristan durch! Ich Tristan, die Dame mit der Flöte Isolde, der Herr mit der Tuba Marke!!" // Foto: Chris Lee / staatsoper-berlin.de

Die Streicher erreichen eine seltene Eindringlichkeit. Herrlich die Evokation der Linien, herrlich der Streicherflaum, herrlich die Sprengkraft des Leisen. Celli! Heftigkeit! Erste Geigen! Barenboim rackert. Barenboim geht in die Knie, er stampft auf. Bei Barenboims Bruckner gab es zuletzt Längen, find ich, in den zweiten Sätzen. Heute Abend ist es tippitoppi. Etwas gelingt. Barenboim ist selbst gerührt.

Die Geigerin aus dem Orchester, die ihm die Blumen reicht, vergräbt Barenboim mit einer Umarmung. Als sie sich wieder hervorgekämpft hat, eilt sie an ihren Platz zurück (letzte Reihe erste Geigen). In das Hörnerquartett bin ich seit Tschaikowsky (Januar) verliebt. Das Renommée Wagners wird schrecklich leiden, wenn die Musikwissenschaft einmal herausfindet, dass die Stellen, die bei Liszt an Tristan erinnern, schon bei Liszt auf dem Papier standen, bevor Wagner in Zürich Tristan in Angriff nahm.

Jonas Kaufmann? Kaufmann steht am Ende der Faust-Sinfonie allein auf weiter Flur – vor dem Chor und weit hinter dem Orchester. Dunkler Anzug und Krawatte. Ein lockeres Hemd steht ihm besser. Kaufmann überragt Barenboim um zwei Köpfe. Etwas Linkisches ist an Kaufmann, besonders wenn er während des Applauses neben Barenboim steht.

Wie singt Jonas Kaufmann? Richtig, Kaufmanns Schmelz ist betörend, der Stimmkern im Forte heroisch. Vom mancherorts berichteten krassen Vibrato habe ich nichts gehört. Doch das Manko ist: Misst man Kaufmanns Stimme an seiner Fähigkeit, eine Rolle zu vergegenwärtigen, reicht Kaufmann nicht mal mit dem Ende einer seiner Lockern an die Berliner Stimmspitzen der letzten Jahre heran, an Villazóns 2006er Don José, an René Papes Gurnemanz, an manches Deutsche von Christine Schäfer, an Waltraud Meiers Isolde, Plácido Domingos Boccanegra. Hat die Musik Schönheit der Linie, ist Kaufmanns Stimme von heftiger Schönheit. Kaufmann muss ein betörender Lohengrin sein, er dürfte „Winterstürme“ hinreißend singen und bei Wagner-Stellen wie „nächtiges Dunkel deckt mir…“, die sich durch heroisch-lyrisches Pathos auszeichnen, Unvergessliches zustande bringen. Bei Stellen und Stücken, aus denen die Schönheit in einem interpretatorischen Verfahren vom Sänger herausgeholt werden muss, verliert Kaufmanns Stimme deutlich an akustischer und äthetischer Strahlkraft. Kaufmann frisst sich nicht durch eine Rolle und spukt sie dann als singuläres Porträt aus.

Ein paar Mal meint man Kratzer und streifige Töne im Piano zu hören. Sein Piano ist relativ farblos und angestrengt und, nun, nicht eben stratosphärenhaft, zumindest nicht an diesem Abend. War Jonas Kaufmann krank? Ich denke an Villazóns Berliner Herzschmerz-Pianos (Eugen Onegin), die selbst, als sie 2010 schon löchrig wie ein Schweizer Käse waren, mitrissen… Und auch bei Leuten, die keine Weltstars sind wie Leonardo Capalbo, ist Wärme, Suggestion, Berührung… Und der Sopran von Anna Samuil hat wahrscheinlich ein Register von technischen Schwächen, das, was die Länge angeht, dem des Leporello nicht unähnlich sein dürfte. Doch ich höre Frau Samuil äußerst gerne. Wärme, Fantasie – das hat’s wenig bei Kaufmann. Kritik, sogar recht deutliche Kritik wäre auch bei seinem Rodolfo (unter Gustavo Dudamel, Staatsoper Unter den Linden) gerechtfertigt gewesen. Kaufmann hat mich in Bohème einfach kalt gelassen. Die Mimi der Alexia Voulgaridou hörte sich geheimnisvoller, souveräner an. Unter Claudio Abbado (Mai, Philharmoniker, Mahler, an der Seite Anne Sofie von Otters) hatte ich mit Kaufmann die ähnliche Probleme. Zu wenig Wärme, zu wenig Mahler, das war im Wesentlichen die Kritik.

Und nun, unter Barenboim… Kaufmann bei „Alles Weibliche etc.“: Kaufmann beginnt mit fahlen Piano und hört beim heroischen, melancholisch abgedunkelten Forte auf. Im Forte gelingt viriler Schmelz, da gibts dann die toll durchgezogene Linie. Aber, mal ehrlich, ich wette um meine Sammlung von Toscaniniplatten , dass ein Liederabend mit Jonas Kaufmann eine Sache mit Längen sein kann.

Das Publikum ist berlinerischer als bei den Philharmonikern. Verkniffener, pullovriger, östlicher. Die Frisuren der Herren können unmodisch wirken.

Ein makelloser Berliner Mond begleitet den Nachhauseweg, nur rechts oder links hat der Monde eine kleine Delle. Da steht Daniel Stabrawa, Geige unter dem Arm, das Konzert des Philharmonia-Quartetts im KMS ist zu Ende. Stabrawa wirkt auch berlinerisch. Der Wagen samt Chauffeur wartet für Jonas Kaufmann. Fans warten. Ich gehe nach Hause. Der Potsdamer Platz wird langsam wieder ein kalter, zugiger Platz, ganz wie im Winter.

Kritik Jonas Kaufmann: jans ordentlich