Musikfest 2011: Berliner Philharmoniker Simon Rattle Tallis Motette Lotti Crucifixus Mahler Achte Sinfonie
Johan Botha Erika Sunnegardh Nathalie Stutzmann Anna Prohaska etc. Rundfunkchor Berlin MDR Rundfunkchor Leipzig etc.
Achte – find ick jut. Die Achte habe ich noch nie vorher gehört, aber sie hat Spaß gemacht. Wie die Sinfonia Domestica hat die Achte völlig ungerechtfertigterweise einen schlechten Ruf. Das ist unverständlich. Genau betrachtet, läuft Mahler bei der Achten zur Hochform auf.
Ich verstehe nicht, warum das Programmheft etwas verschämt einige Negativpunkte der Achten anführt. Das ästhetische Urteil sollte dem Zuhörer überlassen werden. Zu Beginn sang der Rundfunkchor Tallis‘ Motette Spem in alium nunquam habui. Thomas Tallis scheint ein gut organisiertes Genie gewesen zu sein. Lottis Crucifixus erinnerte in den erregteren Partien an einen Ameisenhaufen, in den ruhigeren immerhin noch an das Kribbeln im Bauch, das sich einstellt, wenn man französischen Champagner getrunken hat. Schönes Programm. Simon Rattle dirigierte leidenschaftlich.
Jaja, und dann gings los. Die Berliner Philharmoniker fluten gemeinsam mit vier Chören das Podium. Ach, ist das schön. Die Achte ist auf hübscheste Art und Weise instrumentiert, sie ist voller offensichtlich schöner Stellen. Der forciert symphonische Ton, der seit der Fünften bei Mahler da ist, fehlt hier Gott sei Dank vollständig. Der Text ist ja halbwegs egal, Goethe hin oder her. Ob Anna Prohaska die Magna Peccatrix oder Mater Gloriosa sang, ist vollkommen wurscht, und ob es wirklich das Ewig-Weibliche oder doch nur das Klebrig-Weibliche ist, was hinan zieht, sei dahingestellt. Und ob Johan Botha immer wusste, was er genau da singt, ich weiß es nicht. Fest steht, dass Rattle als wahrer Pater Ecstaticus agierte. Eine Zeile wie „Bei dem hoch geweihten Orte“ hätte auch aus Parsifal stammen können.
Bei den Bläsern: Emanuel Pahud, Wenzel Fuchs, Gabor Tarkövi, Tamás Velenczei sowie ein mir unbekannter Oboist. Marion Reinhard ist wieder da. Konzertmeister sind Kashimoto und Stabrawa. Würdig der Erinnerung waren das Finale des ersten Satzes, das von einer Kernschmelze des weiß glühenden Klangs gekennzeichnet war, und der Beginn des zweiten Satzes, während dem Rattle die Holzbläser mit übermenschlichen Stimmen sprechen ließ.
Um etwas philosphischer zu werden: Mir schien es, als zielte die innere Grenzenlosigkeit des Klangs auf etwas, das nur der Fantasie oder dem Traum erreichbar ist, bei Rattle aber wunderbarerweise hörbar wird. Die Vorteile heute Abend waren eine durchglühte Phrasierung und eine doch äußerst zwingende Ausgestaltung der Musik unter dem Einsatz einer erklecklichen Masse von Musikern. Die Achte zeigte, dass für wahres Glück lediglich eine gut konzentrierte Masse Klang notwendig ist – Hauptsache möglichst viel möglichst optimal konzentriert, da ist es dann egal, ob die Berliner Philharmoniker Beethoven, Ligeti oder Mahler spielen.
Die in höchster Höhe schimmernden Trompeten ließen für kurze Zeit das Gehirn aussetzen. Pahud und Fuchs hatten zusammen traumhafte Momente, besonders als es in Richtung Ewig Weibliches ging. Die Kontrabässe fuhrwerkten mit ihrer kolossalen Riesenpranke im Tutti herum. Rattle ließ die Streicher wunderbar ausphrasieren. Nee, Herr Faust sitzt nicht mehr am Cello. Schade. Anna Prohaska steht im Fantasiekleidchen (Papageno-Look?) und Wuschelmähne über delikatem Teint zwischen einem Rudel Blechbläsern auf dem rückwärtigen Logenbalkon. Nathalie Stutzmann (Alt) strahlte wie schon im Frühjahr spätsommerliche Reife und klangliche Energie aus. Erika Sunnegardh (Sopran) stieß mehrere Trompetentöne aus und steuerte die Lautstärke so behutsam wie verantwortungsvoller Camper den Regler seines Gasbrenners. Johan Botha steuert
Beim Applaus schreit ein Herr, der eine Reihe vor mir sitzt, wiederholt „Danke schön“. Als das Orchester schon weg ist, braucht Rattle eine ganze Weile, bis er Solisten und Chorleiter noch einmal aufs Podium gelotst hat.
Kritik Rattle Berlin Mahler 8.: extrem gute Musik, die auch noch gute Laune macht
Das mit der Sunnegardh war gemein. Immerhin war sie die letzte Entdeckung des Tischlers von der Met.
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