Waren das drei Buhs am Ende der Uraufführung von Astro-Noetic Chiasm (χ), komponiert vom Ungarn Zsolt Sörés? Ultraschalltag 3 im Heimathafen Neukölln weckt vorerst wenig Begeisterung. Sörés‘ Stück, gediegene 50 Minuten lang, vertraut auf minimale Varianz bei weitgehend statischem Material. Dass dabei die Faszination aus vollständiger Prozessmonotonie emporsteigt wie der Phönix aus der Asche, bleibt eine vergebliche Hoffnung. Einziger, wenn auch optischer Lichtblick ist Mihály Sándor, der im Halbdunkel als finsterer Zeremonienmeister über der Elektronik thront. Franz Hautzinger spielt Trompete, der Komponist Bratsche, Anthea Caddy und Judith Hamann arbeiten sich stoisch am Cello ab.

Spät am Abend höre ich (auf DLF) die Performance The New Recherche des Freiburger Ensemble Recherche. Verspielt löst sich das anlässlich des 35-jährigen Bestehens des Ensembles entstandene Programm aus der festgefügten Festivalstruktur. Eingebettet in 75 Minuten lineares Programm erklingen dabei Werke von Hannes Seidl, Sara Glojnarić und Charles Kwong. Seltsam selbstreferentiell muten die dazwischen laufenden Wortbeiträge zu Arbeit und Mindset des Ensembles an. Dass der Abend um das Thema Gentrifizierung kreist, macht das Ganze nicht besser. Sind Künstler wirklich mit „immigrants and workers“ zusammen Opfer der Gentrifizierung? In meiner Nachbarschaft ist das anders. Autoren, zeitgenössische Komponisten und Tänzer sind hier ausnahmslos Käufer sanierter Altbauwohnungen. Der ganze Abend hängt ziemlich schief und verursacht je länger, desto mehr, Fremdscham. Dass völlig unklar bleibt, wie viel Selbstironie im Spiel ist, trägt zur Verstörung bei.

Einziger Lichtblick an diesem Neuköllner Januartag bleibt – neben dem Motto der Rixdorfer Perlen (siehe Bild) – das Konzert mit dem Boulanger Trio. Schon Light and Matter von Kaija Saariaho mit seiner lyrischen Klarheit (2014) überzeugt. Insbesondere, wenn das mit Neuer Musik bestens vertraute Trio das vierzehnminütige Werk in Prozesse ruhiger An- und Entspannung einspannt. Sachlichkeit und Intensität bedingen sich so gegenseitig. Demgegenüber beweist Sarah Nemtsovs [love] (aus dem Zyklus Phoneme, 2018) eine nervös pulsierende Energie, die von einer fast unmerklich steigenden Dynamik getragen wird. Was sich zu einer bisweilen widerborstigen Ausdrucksmissmut fügt, die eindeutig das Faszinosum des Stücks darstellt.

Die zwei kurzen Beiträge der Britin Charlotte Bray beziehen sich laut Komponistin auf Shakespeare, was prima vista wenig Folgen für das unmittelbare Hörerlebnis haben dürfte. Zuerst das zerbrechliche Intimität ausstrahlende That Crazed Smile (2014), das aufgrund einer starken Prägung durch klar hörbare Motive fast traditionell wirkt. Ganz ähnlich dann Those Secret Eyes von 2015, dessen Nachtstück-Intensität – Macbeth lässt grüßen – allerdings auf die Raffinesse verzichtet, die zuvor bei Saariaho unmittelbar einnahm. Ich wünsche mir Brays Stücke fast zwei Mal gespielt. Isang Yuns meisterhaftes und stilles Klaviertrio ist das einzige ältere Stück des gesamten Festivals. Der 1975 nachkomponierte Schlussteil ist ein Reflex auf den Tod Boris Blachers, dem Yun schon die Erstfassung 1972 widmete. Und mit Dieter Ammann habe ich dieses Jahr kein Glück. Ammanns Après le silence schaltet zwei Gänge runter, reiht impulsive Gesten aneinander, und insgesamt ist das Stück von Anfechtungen motorischen Leerlaufs nicht frei.


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