Wiederaufnahme des Rigoletto 6 Monate nach der Premiere. Gibt es Neues?

Ja. Der Herzog und das in ihn verliebte, arme Menschenkind sind neu besetzt. Francesco Demuro und Aida Garifullina heißen die beiden. Frischen Wind bringen beide.

Anders als Michael Fabiano bei der Premiere ist Francesco Demuro ein fast jungenhafter Herzog mit ebensolchem Tenor. Die Stimme tönt am schönsten, wenn sie lyrisch oder locker parlierend agieren darf – etwa in Szene und Duett mit Gilda im 1. Akt. Jede Arie klingt anders. Die Ballade Questa o quella trällert Demuro als Glaubensbekenntnis eines Promiskuitiven mit schmalen Spitzen. Superb die Arie im 2. Akt mit Moll-umflorter Mezzavoce: Der Herzensdieb ist verliebt. Das makellose hohe D ist der Clou im folgenden Possente Amor. Zu beiläufig, fast sachlich tönt die Puff-Canzone La donna è mobile, in der Demuro über die pianissimo-Takte zu des Hörers Unglück schnöde hinwegsingt. Viel spontaner singt Demuro dann im Quartett.

Ohren auf! heißt es bei Aida Garifullina, die letzte Saison in Prokofjews Verlobung im Kloster brillierte und russisches Sopran-Gold in den Großen Saal der Staatsoper verteilte. Caro nome singt sie ernst und genau, mit sauberen Trillern, stimmlich enorm eindrucksvoll, doch als kühle Koloratur-Etüde ohne Herzens-Charme. Für das melancholische e-Moll von Tutte le feste hat sie Geheimnis, Klarheit des Tons und dramatische Nuancen. Ihr Singen wirkt kühl, aber die Arie gerät außerordentlich. Unter der Oberfläche brodelt die Leidenschaft. Ich habe jetzt mit A. Garifullina und Nadine Sierra (im Juni) sowie Albina Schagimuratowa (an der Deutschen Oper) drei der derzeit interessantesten Gildas gehört. Bravo, Berlin. 

Ob Christopher Maltman als Rigoletto (ein Misanthrop mit Buckel und Hinkefuß, keinem Backfisch der Welt wünsche ich den als Vater) in die Berliner Annalen des Gesangs eingehen wird, steht noch dahin. Maltman ist eindrucksvoll, stählern sein Bariton, er forciert aber den Ausdruck, da ist wenig Stimmschönheit, kaum Legato, so sehr der britische Bariton sich auch um Sorgfalt bemüht. Das Vibrato treibt den Ausdruck gar ins Larmoyante. 

Alles wie gehabt aber an der Regie-Front. Die Inszenierung von Bartlett Sher ist immer noch der ärgerlich aseptische US-Import, der er bei der Premiere war, nämlich verfertigt für die New Yorker Met, die bekanntlich eine Trutzburg geistlosen Operninszenierens ist. Das trübe Potpourri aus faden Kostümen und hilfloser Personenführung wird Berliner Verdi-Freunde noch einige Jährchen begleiten.

Rigoletto Staatsoper Berlin Christopher Maltmann Aida Garifullina

Kein Rigoletto ohne Nebenrollen, die sind nämlich mit wenigen Strichen durch Piaves Libretto und Verdis Musik unnachahmlich charakterisiert.

In einer trostlosen Vorstadt-Bar mit Stundenzimmer haust das Geschwisterpaar aus Sparafucile und Maddalena, dem Grigory Shkarupa (glaubhaft in seiner Ganovenehre) und Mariana Pentcheva (robuster Mezzo mit bodenloser Tiefe) Bühnenleben einhauchen. Moralisch keinen Deut besser ist die bestechliche Amme Giovanna, gesungen von der vokal kraftvollen Natalia Skrycka (im adretten Graue-Maus-Kostüm). Monterone, der den Fluch gegen Duca und Rigoletto schleudert, verkörpert Giorgi Mtchedlishvili mit sehr weichem, großvolumigem Bass. Dienstbeflissen scharwenzeln die Höflinge von Adam Kutny (ein vokal scharf umrissener Marullo in 30er-Jahre-Schaftstiefeln) und Andrés Moreno García (ein Borsa in Operettenuniform, sehr präsent in der ersten Szene). Zu recht eifersüchtig ist Ceprano (Erik Rosenius), dessen Frau (Victoria Randem mit behutsam leuchtender Stimme) den Avancen des Herzogs nicht abgeneigt scheint.

Das Libretto spricht scheinbar parallel von angelo und angiol (für Engel). Herr Demuro singt aber gerade in der Arie des 2. Akts dauernd angioli, obwohl es dort doch wohl angeli heißt. Ist nicht weiter schlimm, aber im Ohr habe ich doch angeli.

Diego Matheuz ersetzt – leider – Domingo Hindoyan. Die Orchesterleistung ist durchschnittlich. Ein unflexibel straffes Tempo, ein rustikaler, unsinnlicher Klang geben den Ton vor. Zu den wenigen Lichtblicke zählt die sehr feine Oboe vor dem Duett im 2. Akt, und vorher gab es irgendwo schon ein schönes Solo-Fagott. Beim Bühnenorchester im 1. Akt hingegen passt das schnöde Tempo hervorragend. Auch der Chor ist in punkto Genauigkeit heute Abend nur Durchschnitt.

Kräftiger Beifall für Garifullina und Maltman, Buhs für die Inszenierung.

Foto: Brinkhoff/Mögenburg