
Eine Bohème an der Staatsoper Unter den Linden in glänzender Besetzung.
(Hier Kritik der Aufführung mit Elena Stikhina und Vincenzo Costanzo vom Januar 2018 lesen.)
Tenor Piotr Beczala und Sopran Angela Gheorghiu singen in Lindy Humes bewährter Inszenierung, die die Handlung aus dem Paris von 1830 ins Jahr 1900 verlegt und bei der pittoresken Milieuschilderung einen Mittelweg einschlägt: nicht zu viel Klischee und nicht zu wenig Gefühl.
Angela Gheorghiu präsentiert – wer hätte etwas anderes erwartet? – eine Mimì, die auch kokett, ja leidenschaftlich ist. Wie Gheorghiu singt, lässt kaum Wünsche offen. Ihre Stimme ist nicht zu groß, doch immer noch wunderbar konzentriert im Ton, voller magischer Pianissimi und kommt ohne verismohaftes Tosca-Röhren aus.
Gheorghiu ist ja doch eher ein lyrisch-dramatischer Sopran. Ihre Stimme produziert Linien von weicher, schwebender Leuchtkraft. Frau Gheorghiu singt elegant und anrührend. Die Intonation ist sicher. Die Schönheit der Stimme überwiegt etwas deren Ausdruckswert. Si, mi chiamano Mimì (Akt I, da beginnen die ersten Herzen zu schmelzen) singt die Rumänin auffallend leise. Im zweiten, im dritten Akt wird sie immer besser.
Piotr Beczala hingegen spielt einen zurückhaltenden Rodolfo – dieser Poet studiert wahrscheinlich nebenher Betriebswirtschaft. Auch die Arie Che gelida manina klingt zunächst zurückhaltend. Beczala singt sorgfältig und sauber, dynamisch (bis auf wenige Stellen) sehr aufmerksam. Auch Beczala macht im dritten Akt fast wunschlos glücklich. Sein Tenor ist männlich fest und klingt immer noch jugendlich hell. Das obere Register war schon immer etwas enger. Ja, der dritte Akt. Seltener wurde die Verzweiflung aussichtsloser Liebe in der Oper mit mehr Gefühl auf den Punkt gebracht. Rodolfos leichtfertiges Mimì è una civetta (Mimì ist eine Kokette) ist so herzzerreißend grausam (Beczala singt hinreißend) wie sein tödlich ehrliches La povera piccina è condannata (die arme Kleine ist zum Tod verurteilt) wenige Takte später, kurz nachdem der treue Marcello ihn darauf aufmerksam gemacht hat, dass er Blödsinn singt.
Es erstaunt, wie ähnlich Gheorghiu und Beczala ihre Rollen angehen. Beide bieten vorbildliche Piano- und Legato-Kultur und ein schön kontrolliertes, technisch sehr gutes Singen ohne störendes Vibrato. Man bedenke, Gheorghiu ist über 50. Weder Beczala noch Gheorghiu machen ihre melodramatischen Aufschwünge zur Seufzerbrücke: Jede Note wird gesungen, nicht gespielt.
Musetta ist eine temperamentvolle Pariserin und wird von Anna Samuil mit volltönenden Spitzentönen gesungen. Samuil lokalisiert die verführerische Musetta gekonnt im Graubereich zwischen Skandalnudel und Sopransirene. Im zweiten Akt agiert sie als blondes Gift, im dritten als schwarzhaarige Chanteuse, und im Sterbeschmerz des vierten Akts hat sie das Herz am rechten Fleck.

Der Maler Marcello ist bei Alfredo Daza (ein viriler Bohemien im ausgebeulten Anzug mit klanglich und gestisch intensiv geführtem Bariton) in besten Händen. Den Musiker Schaunard singt Gyula Orendt, Philosoph Colline (Grigory Shkarupa) trägt ein rührendes Vecchia zimarra, senti (Alter Mantel, hör) vor, die einzige an einen Mantel gerichtete Arie der Musikgeschichte – übrigens unterlegt mit todtraurigem Humpelrhythmus aus Fagotten und Klarinetten. Andrés Moreno García verkörpert den Spielzeugverkäufer Parpignol, Olaf Bär ist in Akt I der Vermieter auf Freiersfüßen (Benoît) und in Akt II der ältliche Liebhaber (Alcindoro), der den Teufelsbraten Musetta nicht mehr unter Kontrolle hat.
La Bohème, erstmals aufgeführt 1896 in Turin, ist die winterliche Geschichte einer jungen Liebe, in der das Künstlerproletariat sich mit viel Chuzpe und wenig Glück gegen das Schicksal stemmt. In den vier locker gefügten Bildern changiert die Musik unaufhörlich zwischen Al Fresco und gefühlsgeladenen Parlando. Aus diesem betörenden Mix wachsen die Arien wie junge Triebe empor. Die Binnenakte spielen im turbulenten Café Momus und an der frostigen Barrière d’Enfer. Die wie mit einem Pinselstrich hingeworfenen Ensembleszenen und die farbenreiche Instrumentierung lassen La Bohème so jung und frisch im Uraufführungsjahr klingen.
Am Pult der Staatskapelle Berlin steht mit Julien Salemkour ein sicherer und sorgfältiger Leiter, der für ausreichend Schmierseife unter den schwungvollen Ensembles sorgt. Die ganz großen Feinheiten und die ganz großen Gefühle bleiben aber in der Schublade. Etwas schneller wäre besser gewesen und hätte auch den Arien des ersten Akts gut getan. Schade, dass die heutige Opernsituation ausgiebiges Proben nicht mehr vorsieht. Sänger und Dirigent waren recht oft auseinander – nicht viel jeweils, aber dafür sehr häufig.
Welch schönes Vorweihnachtsprogramm! Beczala hat ja gerade den Edgardo in der Lucia in München gesungen, dort hat er mir sehr gut gefallen.
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Io vado in Vorstellung 2.
Bei AG ist so viel Overacting
Wie ist IMn die Akustik Unter den Linden?
Von mir bekommt AG immer einen dicken Schmatz weil sie Jonas Kaufmann in Wien warten ließ
Die Regie von Hume ist konventionell richtet aber wenig Schaden an. Kann man sagen im besetn Sinne konventionell? nein, so gut ist sie doch nicht
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Gheorghiu hat mir als Tosca nicht ganz so gut gefallen. Ja, geschauspielert hat sie auch wie wild. Zu Tosca passt das aber ganz gut. Ich saß damals aber auch Reihe 4 oder 5. Gestern konnte ich Mimik weniger gut sehen.
Oh, Akustik in der neuen Staatsoper, ein ganz heikles Thema. Ich muss sagen, ich bin bislang enttäuscht. Die Konzertaufführungen fand ich sehr schwierig im Sinne von sehr, sehr schwierig. Im Rang seitlich, wo ich gestern saß, hatte ich bisweilen das Gefühl von „5% Direktschall und 95% Wandreflexionen“, wie das einmal jemand gesagt hat. Andererseits wird da sicherlich noch nachgearbeitet. Vielleicht sollten sie die elektr. Optimierung der Raumakustik wieder einschalten, die meines Wissens nun aus ist??
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Gheorghiu and Beczala brought me to tears of joy!!! Gheorghiu grandissima!
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Dann muss ja Fr. Samuil viel an Ihrer Stimme gearbeitet haben. Letztes Jahr verursachte sie mir Magen- und Ohrenschmerzen.
Die hatte ich gestern Abend in der DO bei dem Operettenkonzert mit Voigt und Brück. Aber nicht wegen den beiden, sondern wegen der Gemahlin des Herrn Voigt. So eine indikutable Leistung habe ich in über 50 Jahren an der DO noch nicht gehört
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Ach, die Frau Krüger ist die Frau von Vogt? Das wusste ich gar nicht. Land des Lächelns war mit Sicherheit sehr schön anzuhören.
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Wie??
Sie haben was gehört von Ihr?? Das meiste was sie von sich gab, war doch nur zu erahnen
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Wie war eigentlich Frau Harteros als Elsa? Ich konnte leider nicht am 17.
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Ja die gesamte Aufführung eigentlich überwältigend.
Harteros makellos wie immer, aber genauso wie ihre Tosca, distanziert. Ich wüsste keine, die ihr das Wasser reichen könnte. Die Rachel Willis-Sørensen war in der Gestaltung und Ausstrahlung besser.
Alle anderen, wie erwartet sehr sehr gut.. Bei der Lang immer die Probleme mit der Textverständlichkeit. Dirigat etwas merkwürdig und unausgewogen, erstaunlicherweise
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Heute sang nicht Beczala den Rodolfo, sondern Ramon Vargas.
Hab ich ein Pech. Vargas ist auch nicht ohne, singt pausenlos in Wien aber ob Rodoolfo seine Paraderolle ist ich weiß es nicht
Vargas musste sich erst reinsingen. Sein eiskaltes Händchen war keine heiße Sache. Lauer Applaus. Bei la speranza und Talor dal mio forziere war zu wenig Stamina
Gheorgiu verunglückte das hohe (perdendosi ) C in den Kulissen am Ende des 1. Akts gründlich
Ja, ich fand sie auch etwas leise, aber sie singt schon großartig. Mimik und Acting von AG gar nicht so schlimm wie erwartet, irgendwie passend, man will ja nicht immer und ewig die dolcezza von Mirella Freni wiederhören und wiedersehen
A. Daza liegt der Marcello gut in der Stimme
So long
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