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Die Handlung ist klar. Medea, aus Kolchis am Schwarzen Meer gebürtig, wird am Hof von Korinth verflucht und verbannt. Ehemann Jason, Zauderer und Feigling, hilft nicht. Medea geht, aber als Kindsmörderin und als flammender Fluch für Kreusa, Jasons Neue.
Medea ist uraltes Tragödien-Terrain. Auch Grillparzer griff sich den Stoff. Und, vermittels Grillparzer, auch Aribert Reimann, der Berliner, Jahrgang 34, neben und mit Wolfgang Rihm Deutschlands führender Musikdramatiker.
Als Typus ähnelt Reimanns kühne Kolcherin der Strauss’schen Elektra, wie sie da als Verstoßene über den rauen Bühnenboden robbt, fluchend und Unheil sinnend. Unschuldsweiß gekleidet und gewaltsam geweißten Antlitzes, singt und spielt Nicole Chevalier diese heikle Mörderpartie mit erhellenden, packenden Unter- und Nebentönen und ist dabei von nicht zu großer, aber akrobatisch flexibler Sopranstimme.
Denn die Musik, die Aribert Reimann für die Medea-Tragödie schrieb (Uraufführung Staatsoper Wien 2010), fließt und strömt um die virtuos-expressiven Singstimmen, mal klug kommentierend, mal stoisch objektiv, stets klar und wunderbar durchsichtig. Wolken zarter Stimmverschränkungen, kurze Schlagwerkkeile, schimmerndes Gewebe aus Bläsereinwürfen und Streicherstrukturen prägen die kluge, ökonomisch gesetzte und immer wieder überraschend reiche Partitur. Orchestrale Gewaltstellen kommen nicht vor. Reimann komponierte für das innere Ohr. Wie exotische Blüten treiben die deklamatorischen, keinesfalls von falscher Expressivität belasteten Gesangslinien aus dem Fluss der Musik hervor.
Es ist die Inszenierung von Benedict Andrews, die sich als Raumerzeuger für diese lautere Musik begreift. Da liegt in düsterer Zeitlosigkeit der Bühnenraum (Johannes Schütz) vor den Zuschauern: unten Mulch, hinten Backstein, an den Seiten die offene Bühnentechnik. Medeas Traumhaus, die Heimat, die ihr nicht gegeben wird: nur ein von Schnüren in den Raum gezeichneter Luftbau. Die Personendramaturgie (Simon Berger) ist genau.
Auch die weiteren Partien werden rollenfüllend gesungen. Allen voran die gelbgewandete Kreusa mit wohlgeformtem, dunkelgoldenem Mezzo (Anna Bernacka). Medeas zwischen Gleichgültigkeit und Liebe hin und her gerissener Ehemann Jason wird von Günter Papendell klangschön gesungen. Die Amme Gora erhält durch die kernige Altstimme von Nadine Weissmann, der diesjährigen Bayreuther Erda, unheimliches Leben. Den jammerlappigen Kreon singt Ivan Turšić mit schön überdrehtem Tenor. Und Countertenor Eric Jurenas zündet als unheilbringender Herold ein fieses Koloratur-Feuerwerk.
Das Orchester der Komischen Oper (Dirigent Steven Sloane) spielt mit nie nachlassender Spannung.
Kritik der Premiere der Komischen Oper:
„Zeitlos schön“ (Audiodatei Kulturradio)
„Medea Premiere“ (Online Merker)
Kritik der Uraufführung von Medea 2010 in Wien:
„Eine antike Brünnhilde“ (faz.net)
Glückwunsch an die Komische Oper dafür, dass sie das Stück nach Berlin gebracht hat! Schön auch, dass die Inszenierung nur das Nötigste tut und der Musik den Vortritt lässt. Das ist so reduziert, dass es schon wieder beeindruckt. Die Idee, die Sänger nicht von der Bühne zu lassen, wenn sie pausieren, wirkte allerdings nicht mehr ganz wie der letzte Inszenierungs-Schrei, der es vor 10 Jahren (aus dem Sprechtheater kommend) noch gewesen sein mag. Dieser komische Streuboden erinnerte mich allerdings an die Elektra an der Deutschen Oper. Aber die Sänger entledigten sich ihrer Aufgaben vorbildlich. Dabei ist natürlich auch klar, dass die Wiener Uraufführung mit Marlis Petersen in der Titelrolle nochmal eine Stufe überzeugender war.
Rührend, wie Aribert Reimann das gesamte Team bis hin zur Kostümbildnerin abherzt.
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Ging mir auch so mit diesem Mulchzeugs auf dem Boden. Das Thema ist auch nah an Elektra dran. Übrigens ist Grillparzers Text, dessen Worte Reimann übernimmt, wenn ich das richtig verstanden habe, doch sehr gut, schnörkellos und wichtig. Von der Musik kann man das Gleiche sagen, wenn ich auch den Eindruck hatte, dass sie manches Mal gewichtiger hätte auftreten können. Da hing viel Klassizismus in der Opern-Luft, zumal der Schluss durch und durch lyrisch ist..
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Knaller Stück.
Dafür aber fast introspektiv, viele Dialoge, kaum Feuer vom Orchester.
Typische Literaturoper.
Cool, dass die KO dass Stück stemmt.
Die Zeit ist gut für Reimann in Berlin. Die Staatsoper spielt Gespenstersonate, die Deutsche Oper bringt im Oktober die neue Reimann Uraufführung!
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Ja, auch ich sehe Medea als Aufwärmer für Gespenstersonate und L’Invisible nach Maeterlinck.
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Noch ne interessante Besprechung: http://likelyimpossibilities.com/2010/12/reimanns-medea-keeping-it-in-family.html (Wien Wiederaufnahme)
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Klingt wirklich reizvoll. Ich konnte leider nicht zur Premiere und gehe jetzt im Juni hin, vielleicht mehrmals. Solche Gelegenheiten muss man nutzen.
Schön dass jetzt so viel Reimann kommt, ein runder Geburtstag kann Wunder wirken.
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