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Mariss Jansons bewahrt auch im – gerade erst beginnenden – Alter jungenhafte Drahtigkeit. Nur das Haar ist silbern.
Truls Mørk spielt Tout un monde lointain. So heißt das Cellokonzert von Henri Dutilleux, einem der gewissenhaftesten Genies, das die Musik gekannt hat. Das Cellokonzert mit dem philosophischen Titel ist kein Action-Blockbuster. Doch es ist zugleich unendlich raffiniert und einfach. Der erste Abschnitt entwickelt sich aus einer aufsteigenden melodischen Geste des Soloinstruments. Die Textur ist und bleibt licht. Dieser Dutilleux ist heiß. Im Zentrum stehen die intensiven Fantasiewelten der zwei langsamen Abschnitte (2 und 4). In „Regard“ (2) insistiert Mørk stärker in den linearen Gebärden als es im Januar die gestisch freier agierende Konstanze von Gutzeit beim RSB tat. Gutzeit hatte mehr Ungestüm. Im zweiten der langsamen Abschnitte („Miroirs“, 4) findet Mørk zu konzentriertem Singen. Schade, Jansons und Mørk breiten mehr aus als dass sie zeigten, wie man die Dinge zuspitzt.
Dutilleux‘ Cellokonzert ist stiller als dessen gleichfalls ungewohnt betiteltes Violinkonzert L’arbre des songes, das Rattle und Kavakos 2013 spielten.
Hector Berlioz‘ Le carnaval romain entlockt mir heute Abend ein schiefes Grinsen. Das Englischhorn (Wollenweber) hat Sinn für Perspektive (in C-Dur). Aber sonst? Der Esprit der brillanten Ouvertüre scheint heuer sehr geerdet. Jansons lässt a bissl langsamer als Rattle-Tempo spielen. Von Rattle-Schwung ist keine Rede. Ganz zu schweigen von einem flotten Abbado-Tempo. Kurzum, es herrscht betuliche Schmissigkeit. Interessant, wie sich Berlioz diese zwei kleinen Durchführungspartien nicht versagen konnte.
Schostakowitsch Sinfonie Nr. 10.
Der Sound des Stalinismus. Eine Symphonie, geadelt von den Super-GAUs der Geschichte. Eine Symphonie, infiltriert von biographischen idées fixes wie einst die imperialistische BRD von grimmigen KGB-Spionen.
Mariss Jansons bemüht sich um distanzierte Objektivität. Richtlinie Jansons’scher Ästhetik ist ein klar disponierter Klang, bestechend frei liegen die Linienzüge. Wobei die Streicher der Berliner Philharmoniker eine wehmütige Mahler-Note in den ersten Satz tragen. Die Leningrader Philharmoniker mochten das in den fernen 70ern unter Jansons herber und kompakter spielen. Auch im zweiten Satz steht formale Klarheit, nicht gestische Wucht, im Zentrum.
Jansons setzt für Schostakowitsch seine unverbesserliche Autorität ein. Der Beifall ist im höchsten Maß gerechtfertigt.
Pingback: 3.3.2016 – Stürmisch: Nils Mönkemeyer & Barock Solisten spielen Telemann, Bach & Bach – hundert11 – Konzertgänger in Berlin
Schöne Kritik, da tut es mir wieder mal leid nicht dagewesen zu sein, ich war zur selben Zeit im Hinterhaus bei Mönkemeyer.
Göbel vom Kulturradio stellt Sie allerdings diesmal formulierungsmäßig in den Schatten: „Die Streicher schleppten sich voran wie eine breit dahinströmende, dicke, fast schon eklige Masse.“
Die Zehnte hab ich mal gehört vom Konzerthausorchester unter Günther Herbig, da dachte ich: sieh an, ein toller Dirigent; bis ich von ihm Brahms Erste gehört hab.
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Endlich mal wieder ein großes Konzert von Mariss Jansons. In den letzten Jahren hat Jansons nachgelassen. Ich fand seine letzten Konzerte mit den Berlinern nicht mehr derart faszinierend, da fehlte immer das letzte Quentchen. Aber der Schostakowitsch war allererste Sahne. Dufour echt gut im Allegretto. Yep, Berlioz ziemlich eckig, selbst die Jubelstellen scheppern wo jeder nur an Konfetti und Funkenmariechen denkt. Mir kam der Berlioz sogar ziemlich banal vor, was er unter Rattle gewiss nicht war. Die Letten haben es nicht so mit Karneval. Kaum Katholiken da oben.
Jansons ist noch ziemlich ohne Grau, oder wie?
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@noch ziemlich ohne Grau
Ich saß A, und von der Seite ist er ziemlich grau. Von oben mag das anders aussehen.
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Ein paar Bemerkungen zum Vergleich Donnerstag mit Samstag:
– Samstag nahm Jansons die 10. eine Portion zügiger und straffer als Donnerstag, meinem Eindruck nach.
– Dafür gab es einige, nicht in der Partitur vorgesehene, Solos vom Handy. Netterweise einmal sehr passend dicht vorm Satzbeginn. Neben mir smsten ein paar Spanier fast die ganze Zeit über. Was kann man noch tun, ausser Ansagen und IPad-Schildern, um das in den Griff zu bekommen? Im Komzerthaus passiert das alles viel seltener, ohne Schilder oder Ansagen. Seltsam.
– Kleine Applausversuch nach Satz 1. Standing Ovations zum Schluss. Jansons wurde, wie am Donnerstag, nochmal hervor geklatscht. Passsiert auch nicht sooo oft. Der Mann hatte Spass, und man sah es ihm auch an.
– Truls Mork gab wie im letzten Juni die Sarabande aus BWV 1008 als Zugabe. Nachteil: Man will mehr davon.
– Es ist für mich doch immer eine eigenartige Sache mit den BerlPhil und Schostakowitsch. Ich vermisser zwar das Raue, Eckige – bekomme dafür aber diese wahnisnnige Dynamik und Sensibilität.Ich mag, wie Schosta den Solisten regelmässig ihre Stellen spendiert. Was aber Leute wie Wenzel Fuchs dann daraus machen ist einfach nur wunderbar. Muss man einfach im Saal erleben, wie da fast 2 1/2 Tausend jeden Ton aufsaugen.
– Sass neben Fergus vielleicht Eric Terwilliger am Solo-Horn?
– OT: Ich bin sehr, sehr dankbar für Deine Besprechungen!
Es ist eine halbe Schande, wie Berlins grossartiges Musikleben sich in den Feullitons wiederspiegelt. Hier: Wissen, Leidenschaft, flotte Schreibe – love it! Gilt natürlich auch für Hundert11.
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Danke für den freundlichen Kommentar.
Ja genau, Terwilliger bläst seit einiger Zeit hin und wieder Solohorn. Wenn ich das noch richtig im Kopf habe, war er auch beim zweiten Rattle-Konzert im Februar schon dabei. Terwilligers kultivierter Ton ist viel schlanker als der klangreichere von Dohr. Schön, wenn man so gute Auswahl hat.
Es ist wohl so, dass das Konzerthaus von allzu großen Touristenströme verschont bleibt. Dort geht wohl immer noch (Ost-)Berliner Stammpublikum ins Konzert. Aber stimmt, ich kann mich gerade an gar kein Handy-Malheur im Konzerthaus erinnern.
Ein simsender Nachbar… Interessant fand ich einmal einen Sitznachbarn, der die Partitur auf dem iPad von A bis Z mitliest, inklusive maximaler Display-Helligkeit.
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Ich war am Freitag im Konzert wo der Solist gleichfalls aus BWV1008 zugab. Von Bekannten hörte ich dass am Donnerstag keine Zugabe gab.
Wenn man bedenkt dass Jansons 1943 in Riga geboren wurde, also in einem Jahr, das insbesondere in Baltikum zu den grauenvollsten der europäischen Geschichte zählen dürfte, so war das ein Abend in dem ungeheuer viel mitschwang. Bravo!
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Gerade erst gesehen. Änderungen im Vergleich zur Jahresvorschau: Seji Ozawa dirigiert 8. & 10. April Beethoven und Mozart. Dafür ist Mehta / Barenboim mit reinem Brahms Programm am 6. April ersatzlos gestrichen. Hätte ich gar nicht gedacht, dass Ozawa nach den Absagen 2010 und 2011 noch einmal am Pult der Berliner stehen würde.
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Die neue Sophie Dartigalongue heißt übrigens Václav Vonášek. Vonášek hat jetzt wahrscheinlich einen Passus im Vertrag, der einen Wechsel zu den Wienern vor 2030 verbietet.
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Merci. Und jetzt mit Foto http://www.berliner-philharmoniker.de/orchester/musiker/vaclav-vonasek/
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Ach ja. Verdammt wegen der Brahms-Absage. Ich stand mit Brahms Konzert 2 immer etwas auf Kriegsfuß und habe deshalb, großer Stratege, der ich bin, schon im Herbst die Partitur durchpflügt sowie meine Lieblingsaufnahme (Katchen) in langen Nachtsitzungen durchgehört. Und nun das.
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