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Der neue Salzburger Fidelio live auf BR.

Apropos Fidelio.

Out sind: Sprechpassagen in Opern und junge Frauen, die in der ersten Szene Wäsche plätten. In sind: Freiheit, Festspiele, Franz Welser-Möst.

Claus Guth hat das alles erkannt.

Fidelio Salzburg Pizarro

Schattenspiele eines notorischen Bösewichts: Tomasz Konieczny ist Pizarro in Claus Guth Salzburger Neuinszenierung / Foto: Monika Rittershaus, salzburgerfestspiele.at

Seine Neuinszenierung des Fidelio verzichtet auf gesprochene Dialoge. Stattdessen setzt Guth auf Knistersound-Intermezzi. Auf Gebärdensprache. Auf harte Schatten. Schön und gut. Ich gestehe, ich vermisse das mit rollendem „r“ gesprochene „Wie kalt ist es in diesem unterirdischen Gewölbe!“ der Leonore. In dieser kurzen Zeile kommt zum Ausdruck, was Fidelio ausmacht: altmodisches Theaterpathos und der Thrill fieser Kerker. Kein Wunder also, dass der Guth’sche Fidelio aus dem Großen Festspielhaus sich wie Oratorium anfühlt. Insofern ist der Fidelio aus Guths Hand ein weiteres Rumgeeiere. Aber eines auf hohem Niveau.

Und damit zu den Sängern.

Mut und Temperament sind Adrianne Pieczonkas ständige Begleiter bei der Interpretation der Leonore. In „Abscheulicher“ wechseln beeindruckende Passagen mit weniger beeindruckenden. In den langsamen Passagen fehlt ihrer Stimme Innigkeit, dramatische Wahrheit. Ihre Akzente sind gerne sinnfremd gesetzt – autsch!

Fidelio Salzburg Jonas Kaufmann Adrianne Pieczonka

So a Freid: Jonas Kaufmann eilt zu Adrianne Pieczonka / Foto: Monika Rittershaus, salzburgerfestspiele.at

Im höllisch schweren „Komm, Hoffnung“ schlägt sich Frau Pieczonka gut, ja, kann mit glühendem Ausdruck singen. Die Beweglichkeit für die verzierten Stellen bringt die durch zahlreiche Wagner-Extasen gestählte Sängerin kaum mit. Und auch in „O namenlose Freude“ schlägt sie sich achtbar. Hier klingen Spitzentöne allerdings mitunter, als würde Leonore sich mit einem Urschrei mittels Köpfer vom Zehner stürzen.

Summa summarum sage ich, dass Adrianne Pieczonka den Anforderungen der Rolle meistenteils gerecht wird.

Tenor Jonas Kaufmanns mediale Präsenz im Vorfeld der Premiere steht in umgekehrtem Verhältnis zur Dauer seiner tatsächlichen Bühnenpräsenz heute Abend. Die Arie „In des Lebens Frühligstagen“ ist Dreh- und Angelpunkt, um Kaufmanns vielschichtige Leistung zu bewerten. Hauptsächlicher Einwand dürfte sein, dass Kaufmann zwar jene expressive Nervosität mitbringt, die die beeindruckende Textausdeutung, mit der der Tenor überzeugt, erst ermöglicht, aber nicht die Natürlichkeit des Gefühls. Unangenehm ist allemal das Insistieren auf dem bedeutungsvollen Ton, der berühmte (Kaufmannsche) Kunstwille, die Kehrseite der superben Kontrolle, der Kaufmann seine Stimme unterwirft.

Fidelio Salzburg Jonas Kaufmann

Florestan Jonas Kaufmann, im Hintergrund Tomasz Konieczny, bebrillt / Foto: Monika Rittershaus, salzburgerfestspiele.at

Die Diktion in „Die Wahrheit wagt‘ ich kühn zu sagen“ hat, so eindrucksvoll der Sänger das Timbre einsetzt, ungutes Oratoriumspathos. Hörbar ist das mühevolle Piano oder Mezzoforte, wenn die Stimme hoch einsetzt. Die Registerübergänge sind alles andere als eine runde Sache. Und kein Prunkstück sind Kaufmanns gequetschte Spitzentöne. Dennoch bieten Passagen wie jene acht Töne auf der ersten Silbe von „Leiden“ aus dem vorhergehenden Rezitativ „Gott! Welch Dunkel hier!“ oder das „Ende schmählich meine Bahn“, für das Kaufmann die Intensität aus einem Schubertlied borgt, Futter für stille Extasen der Zuhörenden, vorausgesetzt man hat eine Antenne für solche Ausdrucksmittel. Und bedauernswert jene, die sie nicht haben. Nicht von ungefähr gerät das Rezitativ runder als die Arie und insbesondere als der Strettateil.

Man liegt nicht falsch, wenn man behauptet, dass Florestan nicht jene Rolle ist, mit der Jonas Kaufmann in die Geschichtsbücher der Gesangskunst eingehen wird.

Olga Bezsmertna singt eine frische Marzelline mit sinnlichem und delikatem Sopran. Die schön gerundete Bassstimme Hans-Peter Königs kann die heillose Biedermann-Aura, die die Figur des Rocco, diese fatale Kreuzung aus Osmin, Daland, Landgraf und Sachs, wie Pech umklebt, weder vergessen machen noch zeitgemäß umdeuten.

Claus Guth Fidelio Salzburg 2015 Ensemble

Claus Guth inszeniert Fidelio: 6 Sänger, 2 Schatten / Foto: Monika Rittershaus, salzburgerfestspiele.at

Don Pizarro alias Tomasz Konieczny verfügt über dramatische Verve und das nötige Bösewichttimbre – fahl und belegt klingt nur die untere Lage. Was mir bei seinen fabelhaften Wagnerinterpretationen nie auffiel, ist sein bisweilen gaumiges Deutsch. Sebastian Holecek singt Don Fernando.

Franz Welser-Möst leitet umsichtig und mit gut gewähltem Tempo. Die Wiener Philharmoniker spielen sehr biegsam. Ein Genuss ist die pure akustische Präsenz der die Arie „Komm, Hoffnung“ begleitenden Hörner. Pointiert und unerhört differenziert lässt Welser-Möst dritte Leonoreouvertüre und Finale spielen. Der Applaus nach der Leonoreouvertüre ist ziemlich gaga, aber so ist Salzburg.

Buhs für Claus Guth. Am meisten Applaus für Franz Welser-Möst.