Inaugurazione 2013. Ich sitze in Kreuzberg und höre BR Klassik. Mein Nachbar gegenüber hat eine Kerze angezündet und redet mit einem anderen Nachbarn. Hier Kritik zu Inaugurazione 2015 lesen.
Daniele Gatti, Dirigent milder Meistersinger in Salzburg und eines milden New Yorker Parsifal, leitet die Saisoneröffnung. Das Vorspiel zeichnet sich durch Geigen aus, die über gemütvoll ploppenden Vierteln entschweben. Celli erheben sich über schwermütigen Geigen.
Es ist immer wieder ein Erlebnis, wie die Moderatorin des RAI alle Künstlernamen und Verwicklungen vor dem unaufhaltsam nahenden Einsetzen der Musik an den Mann bringt, indem sie kontinuierlich schneller und leiser wird, bis sie den letzten Satz flüsternd 3 Sekunden vor Beginn des Vorspiels zu Ende bringt.
Dass Piotr Beczala nicht der feurigste aller Liebhaber ist, ist in Berlin bekannt.
Beczalas Vokale besitzen einen Klang, der so neutral ist, dass ich unverrichteter Dinge an den Beruf des Handlungsvertreters denke. Auch dass sein Tenor oben enger wird ist solala (manchmal ab dem G, manchmal ab dem F, manchmal auch gar nicht). Wer sein Timbre als eines lodernder Leidenschaft bezeichnet, lügt. In „De‘ miei bollenti spiriti“ missachtet Beczala die dreifachen Pianissimos. Auch das „dolcissimo“ höre ich nicht. Aber was soll man sagen. Er ist dennoch einer der Besten. Besser gefällt er mir als zuerst kalt Empörter, dann reuig Entflammter im Finale des 2. Aktes. Besser gefällt er mir im 3. Akt durch hinreißende melancholische Einfärbungen.
Diana Damrau überzeugt. Ihr Sopran, genau leuchtend, ist mehr Seele als Herz. Violettas Spitzen-A’s in so manchem haarsträubenden Sechzehntelgrüppchen sind Höhepunkte, gefüllt mit echter Herzenswärme und charakteristisch durch enges Vibrato. Manches – „E strano“ – klingt hell, aber a bissl dünn. Damraus „Ah, forse“ lässt mich irgendwie an eine Workaholic-Tussi mit einem IQ von 180 denken und klingt so wenig nach Prostitution bzw. Lungentuberkulose wie Anna Netrebko nach Bulimie. „A quell’amor“ hat nicht das Farbenspiel der Leidenschaft, und das „con espansione“ mit dem hier erwarteten Aufschwung liegen Frau Damrau zumindest heute Abend nicht. Sprachtechnisch gesehen ist sie mit dem Chiaroscuro italienischer Vokale noch nicht so richtig per Du – besonders auffällig ist das in den brillante-Teilen des „Sempre libera“. Und nun das letzte Minus: „In questo popoloso deserto“ dunkelt sie die Stimme künstlich ab.
Dennoch höre ich jede Millisekunde eine mit Fachkenntnis geführte Stimme. Das hohe C des 1. Finales ist klar und hell. Nach dem 1. Akt viele Bravos, ein, zwei Buuhs. Schön ist das – fast – geschrieene „E tardi“ des 3. Aktes.
Hervorragend meist das „Addio del passato“. Die „con espressione“-Passagen mit leicht forciertem Vibrato. Das schließende „Ah tutto“ meisterhaft, grade auch mit dem Schluchzer, stahlblaues ppp-A zum Schluss. Viele Bravos.
Beim letalen „Gioa“ geht Diana Damrau in die Vollen und macht das B zu einem harten Schrei – aber nur fast. Geht unter die Haut.
Zeljko Lučić: Sein Germont Père besitzt noble Linie und erfrischendes Mittzwanziger-Timbre. Sein wolliger Bariton hat’s nicht so mit der Breite und Tiefe. Er ist aber auch schwer zu singen, Verdis Germont, dieser Klon aus Gesinnungsterror und Sentimentalität. Lučić ist der einzige der drei Hauptsänger, der dynamische Vorschriften stets genau befolgt – so sehr, dass ich mich bei dabei erwische, mir auszumalen, Lučić schlüge mal so richtig über die Stränge.
Annina wird hervorragend durch Mara Zampieri vertreten
Nach dem Duett Germont-Violetta im 2. Akt: Applaus ohne Bravi.
Gatti dirigiert lässig, breit, bisweilen malerisch, ja behaglich, siehe der Auftritt der Zingare und Mattadori. Es schluchzen die Geigen („Libiam“). Die Introduktion zum 1. Akt ist ohne rhythmischen Biss. Gatti bringt schöne Tempowechsel. Die Geigen im Vorspiel zum 2. Akt neigen zu herrlich träger Grandezza. Dem Finale des 2. Akts fehlt die imperiale Steigerungslinie. Aber die Geigen im Vorspiel zum 3. Akt: Nicht auf Weltniveau, was Genauigkeit oder Simultaneität angeht, aber von einer Sprachfähigkeit, die schlichtweg verehrungswürdig ist. So was kenn ich auch nicht, zumindest nicht aus einem Berliner Opernhaus: Gatti kündigt „un minuto di silenzio“ bzw. „un minuto di raccogliamento“ für den verstorbenen N. Mandela an.
Wieso haben Sie nichts von Regisseur kein Wort geschrieben? Das war wirklich etwas Eckelhaftes! Eine blöde Konzepsion! Und als „danke schön“ – ein schönes Ausbuhen am Ende!!!
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Vielen Dank für Ihren Kommentar.
Habe ich die Auswahl zwischen Radio und TV, entscheide ich mich in der Regel für Radio. So auch gestern. Schade, dass Tscherniakow nicht erfolgreich war (zumindest am Premierenabend). Seine Berliner Arbeiten waren recht gut.
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Sie sprechen mir aus der Seele. Ich höre mir jedes Jahr die Saisoneröffnung in einer Radioübertragung an. Bravo Diana Damrau. Ein sehr inniges Porträt. Den Tenor Beczala habe ich in Berlin schon mehrmals gehört.
Liebe Grüße aus Prenzlau
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Ich würde dies auch gerne etwas differenzieren. Das Sie die Inszenierung nicht erwähnt haben, kann ich beispielsweise sehr gut nachvollziehen, denn ich fand sie über weite Strecken schlicht nicht existent. Ich habe mich lange gefragt, was mich genau an diesem Opernabend so befremdet hat und ich glaube mittlerweile, dass dies an dieser belanglos banalen und geistlosen Inszenierung lag, die meines Erachtens die Sänger mehr oder minder sich selbst überlassen hat. Das würde auch erklären, warum diese oft so verloren herumstanden, auch untereinander nicht überzeugend interagierten und sich letztlich in Standardgesten flüchteten oder dann eben ganz ihrer eigenen Rollenidee folgten. Für diese Inszenierung hätte ich nur noch still die Hände in den Schoß gelegt. Ein Buh wäre dafür schon zu viel Aufmerksamkeit. Auch ich empfand das übergehen vieler piani als sehr unerträglichiche Aneinanderreihunge von Dauerforte, wodurch leider ein Großteil des Charmes und des Charakters des Stückes verloren ging. Eigentlich ist dies aber Sache des Dirigenten und ich hatte nicht den Eindruck, dass die Sänger nicht willens oder unfähig waren mehr zu differenzieren. Ich hatte vielmehr den sehr unangenehmen Eindruck, dass Daniele Gatti mit fast brutaler Rücksichtslosigkeit Jeden platt gemacht hat, der nicht mitbrüllen konnte oder wollte. Mir kam es oft vor, als müssten die Sänger um ihr Leben schreien. Auch wenn Sänger Geschmackssache sind und man z. B. Piotr Beczala nicht mögen muss, so würde ich doch versuchen Ihn hier in Schutz zu nehmen, da mich bereits im ersten Akt der Verdacht beschlich, dass er aus dem Graben gnadenlos fertig gemacht wurde. Diana Damrau konnte stimmlich besser mit diesem Krach umgehen aber auch bei Ihr kamen viele Pianophrasen gar nicht vor, für die Sie ja eigentlich berühmt ist. Meines Erachtens war dies so weil die Sänger nicht gelassen wurden, nicht weil sie nicht wollten oder konnten. Der Sturm der Entrüstung der Gatti leider zu Recht entgegenschlug und der sich kaum noch vom Buh-sturm des Regisseurs Unterschied (und das will schon etwas heißen) legt trauriges Zeugnis davon ab, dass Gatti, meiner Meinung nach unkollegial und unkünstlerisch demoliert hat, was zumindest aus musikalischer Sicht ein großer Abend hätte werden können. Das wäre mit diesen Sängern auf jeden Fall möglich gewesen. Wer auf der Bühne nicht gemeinsam im Team arbeiten kann, sondern Krieg spielen will und für wen nicht das Endergebnis, sondern, welche Animositäten auch immer, im Vordergrund stehen, hat den Titel eines Musikers nicht verdient, geschweige denn den eines Künstlers. Sehr schade!
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Was hat eigentlich ein Holzhacker wie der Gatti an der Scala oder in Salzburg verloren? In Salzburg dieses Jahr die Meistersinger – einfach schauderhaft – und nächstes Jahr Trovatore. Da kann einem die Netrebko leid tun. Da wird sie mit dem Meli um die Wette trompeten müssen. Immerhin haben die Mailänder diese „Leistung“ völlig zurecht mit einem Buhorkan gewürdigt.
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Die Inszenierung war abscheulich, aber das hatte ich von diesem Regisseur nicht anders erwartet.
Anstelle von Beczala hätte ich dieser unmögliche, übergewichtige Damrau ausgebuht – eine Hausfrau mit blonder Magda-Goebbels-Frisur, hysterisch und exaltiert agierend. Und so brilliant ist ihr Gesang auch nicht. Auf alle Fälle in keiner Weise berührend.
Mariella Devia war mit 60 Jahren eine bessere Violetta, wahrscheinlich ist sie es auch heute noch.
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