Berlin, Philharmonie. Jonas Kaufmann im Frack. Er trägt ein großes Einstecktuch, Begleiter Helmut Deutsch ein kleines. Bei Liszt gefiel die interpretatorisch unbewältigte Spanne zwischen laut und leise nicht, wenn auch „Im Rhein, im schönen Strome“ mit wundervollem Ernst begonnen wurde. Von den Rückert-Liedern waren vor allem „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ und auch „Ich atmet einen linden Duft“ und „Um Mitternacht“, freilich mit etwas extrovertiertem Ausgang („Du hälst die Wacht“), genau und klangschön gesungen.
Henry Duparc war mit fünf Liedern vertreten. Jonas Kaufmann singt gleich anfangs „L’Invitation au voyage“ nach Baudelaire – mit den doch einigermaßen berühmten Worten „Luxe, calme et volupté“ – mit zumeist angemessen kontrollierter Entfaltung von Stimme und Ausdruck. Die strenger durchgeformte französische Liedkunst Duparcs scheinen Objektivität und Textnähe Kaufmanns glücklich zu fördern. Zauberhafte Momente einer sozusagen königlich produzierten voie mixte beglücken. Wobei Kaufmann die Höhepunkte, z.B. das ff-G in „dans une chaude lumière“ (aus „L’Invitation…“) mit zu offenem Pathos aussingt, für meinen Geschmack zumindest.
Der Rest war Strauss. Das frei fließende Strauss’sche Melos begünstigt ein ungehindertes Freisetzen von Kaufmanns klarem, leicht eingedunkeltem Timbre. Dezente, nicht unstatthafte Schluchzer säumen von nun an Kaufmanns Weg. Die puddinghafte Neoromantik und die flotte Humoristik einiger Textvorlagen ist heutzutage nicht mehr jedermanns Sache, und Jonas Kaufmanns Sache war es jedenfalls heute Abend nicht, dem ein strenges Aussingen der Partitur entgegenzusetzen. „Schön sind, doch kalt die Himmelsterne“ war vielleicht das am umfassendsten bewältigte der Strauss-Lieder.
Die zurückgenommene melodische Bewegung von „Ich sitze am Fenster und schaue hinaus…“ in „Schlechtes Wetter“ singt Kaufmann hervorragend zurückhaltend und nimmt die ganze, mühevoll errungene Zurückhaltung auf unbeschreibliche Weise mit in den Oktavsprung der zweiten Silbe von „hinaus“.
Es schloss sich – vorsichtig ausgedrückt – die eine oder andere Zugabe an. Als Helmut Deutsch, ein mitunter lauter und bei Liszt mitunter vorlauter Begleiter, den Eingangstakt zu „Dein ist mein ganzes Herz“ spielte, quiekt meine Sitznachbarin vor Entzücken. Da war man bei der fünften oder sechsten Zugabe (überwiegend Strauss, u.a. das kurze, in kühlen, wundervoll abschattierten Farben beginnende „Breit über mein Haupt“ aus dem gleichen Opus wie „Schön sind…“).
Das Programm nach berliner-philharmoniker.de (Zugaben und aktualisierte Liste siehe Kommentarteil):
Franz Liszt
Vergiftet sind meine Lieder
Im Rhein, im schönen Strome
Freudvoll und leidvoll
Der König von Thule
Ihr Glocken von Marling
Die drei Zigeuner
Gustav Mahler
Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert
Henri Duparc
L’Invitation au voyage
Phidylé
Le Manoir de Rosemonde
Chanson triste
La Vie antérieure
Richard Strauss
Schlechtes Wetter
Schön sind, doch kalt die Himmelsterne
Befreit
Junggesellenschwur
Wie sollten wir geheim sie halten
Etwas seltsame Kritik. „Großes Einstecktuch …kleines“? Wen interessiert das? „Schluchzer“?? „puddinghafte Neoromantik“? Und ist der Sänger jetzt auch für quiekende Zuhörer verantwortlich? „die eine oder andere Zugabe“? Also was jetzt? Warum werden die 8 Zugaben nicht genannt? Warum wird das Programm nach der Homepage der Berliner Philharmoniker zitiert, wovon das tatsächliche Programm etwas abwich? Ist Vf. vielleicht nicht bis zum Schluss geblieben? Oder war er vielleicht gar nicht im Konzert? Gemäß seinem Motto „MEIST wahre Berichte“.
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Ts,ts, ich habe das Einstecktuch doch nur erwähnt, damit kein Leser auf die Idee kommt, an meiner persönlichen Anwesenheit zu zweifeln. Aber natürlich ist der Interpret für quiekende Zuhörer verantwortlich. Bei Christine Schäfer habe ich trotz häufiger Konzertbesuche noch nie eine Dame quieken gehört, womit ich aber ausdrücklich nichts gegen Herrn Kaufmann gesagt haben will.
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Aber, aber, das Einstecktuch war doch auf Fotos zu sehen! Die ungenaue Angabe der Lieder dagegen ist schon verdächtig … Und natürlich quiekt keine Dame bei Christine Schäfer. Aber ich habe schon erregt stöhnende Herren bei einigen Sängerinnen gehört und zuletzt bei Anja Harteros hat sich bei einem Herrn neben mir die Stimme überschlagen vor Begeisterung und er wäre beinahe über die Brüstung in den Orchestergraben gefallen! Ein Glück, dass nichts passiert ist, sonst hätte ihm die arme Sängerin noch Schmerzensgeld zahlen müssen (von wegen Verantwortung). Und sich überschlagende Männerstimmen klingen auch nicht besser als quiekende Damen!
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Na, Sie haben Recht mit den Einstecktüchern. Ich wusste es, ich konnte Leute, die mit der Kamera ins Konzert gehen, noch nie so richtig leiden. Ich könnte jetzt noch als Zeichen äußersten Entgegenkommens und allerletzter Gutwilligkeit die kleine Rede von Kaufmann vor der letzten Zugabe dem Sinn nach wiedergeben, aber dann kommen Sie mit obskuren Tonmitschnitten, die irgendwo im Netz von diesem Konzert existieren, in denen Kaufmanns nette Ansprache Wort für Wort nachzuhören ist.
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Richard Strauss: Schlechtes Wetter; Schön sind, doch kalt; Befreit; Heimliche Aufforderung; Morgen; Cäcilie.
Zugaben: Breit über mein Haupt; Ach weh mir unglückhaftem Mann; Freundliche Vision; Zueignung; Wie sollten wir geheim sie halten; Dein ist mein ganzes Herz; Ich trage meine Minne; Gern hab ich die Frau’n geküsst. LG
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Danke noch mal
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