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Berliner Philharmoniker – Simon Rattle: RIAS KAMMERCHOR Purcell Funeral Music for Queen Mary Mahler Sinfonie Nr. 5
Kritik. Es gab Zeiten, da hing mir die Fünfte von Mahler zu den Ohren hinaus. Die Fünfte mit Rattle, die Fünfte mit Abbado, die Fünfte mit Walter, die Fünfte mit Szell, unser halber Haushalt besteht aus Fünften. Ich war heute zudem in einem Zustand, in dem ich gerne Mendelssohns Dritte oder Prokofjews Vierte gehört hätte, aber einiges darum gegeben hätte, nicht die Fünfte zu hören. Aber was will man machen. Das Schicksal macht auch vor uns Konzertgehern nicht halt. Purcells Funeral Music war ein Traum. Eine Handvoll Trompeten, eine Handvoll Posaunen, 2 Trommeln und ein Chor.
Die Trompetenstellen (Tarkövi et alii) jagen einem pausenlos Schauer über den Rücken. Von wegen Schauer, von denen kann beim sicherlich ehrenwerten RIAS Kammerchor nicht die Rede sein. Ich versuchte ohne Unterlass herauszufinden, ob die Soprane oder die Altstimmen oder doch die Tenöre am wenigsten Pepp besaßen, aber der Purcell war zu Ende, bevor ich zu einem Entschluss gekommen war. Vielleicht hätte man ein pausenloses Konzert wagen sollen, um Purcells Strenge anschaulicher an Mahlers Üppigkeit zu binden. Der dritte Satz der Fünften war das Zentrum, der erste wahrte den Charakter stockenden Beginnens, der vierte war eine ärgerliche Unterbrechung. Man müsste das Adagietto, das weit davon entfernt ist, Mahlers meist missverstandener Satz zu sein, doppelt oder dreimal so schnell spielen, um die symphonische Spannung zu wahren.
Stefan Dohr spielte, vor dem Konzertmeister stehend, den erstaunlichen, gestaltenreichen, eine glückliche Unendlichkeit währenden Hornpart des dritten Satzes. Ottensamer spielt die erste Klarinette, Andreas Blau flötet. Où est Mlle Kermarrec? Est-elle enrhumée? Die Fünfte der Berliner Philharmoniker zeigte, wie sehr Mahler hier in Richtung Spektakel unterwegs ist, aber auch, wie viel gewaltiger der symphonische Atem im Vergleich zu allem jemals zuvor Geschriebenen ist. Am packendsten war wie gesagt der dritte Satz. Mit Erstaunen folge ich den Musikern, die sich durch Taktfolgen hangeln, von denen aus das Denken als eine Art obskure, vorzeitliche Praktik erscheint. Nie schien man als eifriger Konzertgänger der Philharmonie so allein mit der Logik dieser Musik – quasi von Angesicht zu Angesicht. Nach dem Schlussakkord sitzt man etwas deppert da und fühlt sich wie ein Neandertaler, der eine Stunde und zehn Minuten lang ein Homo sapiens sapiens war, und jetzt wieder der Neandertaler ist, der man leider Gottes schon immer war.
Kritik Simon Rattle Mahler 5.: Woahnsinn