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Berliner Philharmoniker – Simon Rattle: MAGDALENA KOZENA KATE ROYAL RUNDFUNKCHOR BERLIN Schönberg Überlebender aus Warschau Mahler Sinfonie Nr. 2
Verglichen mit der Zweiten Sinfonie von Mahler ist Strauss‘ Sinfonia Domestica ein schlankes Beserl. Meine Affinität zur zweiten Sinfonie ist gering. Im dritten Satz klingt es hier und da nach Grieg, zwischendurch nach Bruckner. Die Posaunen im letzten Satz klingen nach Parsifal, sind bei Wagner aber zehnmal besser gesetzt. Einige Harmoniewechsel haben etwas Ungeschicktes. Es sind definitiv etwas zu viel Fanfarenmotive in der Zweiten. Der Chor hat was vom Pilgerchor aus Tannhäuser. Aber es ist trotz allem große Musik. Aber es gibt in Mahlers Erster auch Stellen, da versucht man herauszufinden, ob das nun Angela Merkel in der ersten Reihe ist oder nicht. Mahlers Erste hörend, fange ich an zu bedauern, dass Brahms, perfektionistischer Hanseat, der er war, es nicht über sich brachte, eine mitreißende, schwungvolle, vor Unerfahrenheit strotzende Jugendsinfonie zu schreiben, etwa im Stile seines Opus 8 – bis er 35 war, hätte das wohl noch geklappt. Stattdessen wartet Brahms mit der Ersten, bis er über sinfonische Gediegenheit verfügt.
Zu Beginn spielen sie der Überlebende aus Warschau, quasi als nullten Satz der Mahlersinfonie.
Ohne Pause folgt der erste Mahlersatz. Diese Maßnahme Rattles war sehr beeindruckend, beeindruckender noch als jene, die Sibeliussinfonien 5 und 6 ohne Pause zu spielen (im Frühjahr) oder Weberns Lieder von Anna Prohaska einfach noch mal singen zu lassen, weil sie so kurz sind (vor zwei Jahren). An diesem Abend war Schönberg, wie fast immer, der bessere Komponist. Hach, diese Instrumentierung bei Schönberg. Und der Schauer, wenn der Chor anfängt zu singen. Doch wo war ich stehen geblieben? Ach ja, Mahler. Zum Finale: Wenn zehn Hörner spielen, höre ich trotzdem nur vier, und die restlichen sechs nur bei Intonationstrübungen. Ist das schön, wenn Magdalena Kozena auf dem fff-Höhepunkt des Scherzos mir nichts, dir nichts in Rot aufs Podium schwebt. Da ist dieses Vibrieren der hohen Lage, deren ungewöhnliche, schockierende Fülle an Obertönen einen schlichtweg umwirft. Erinnerungen: Kozenas Octavian an der Staatsoper, Kozenas Lazilu in Chabriers L’Etoile an der Staatsoper. Eine der schönsten Stimmen zur Zeit. So weit ist Kate Royal noch nicht. Sie singt weniger verschwenderisch.
Dann war da noch was von wegen Promis. Es steht eine Promiauto- bzw. Polizeiautokolonne vor dem Osteingang, Polizisten eilen im Foyer. Aber die Dame in der ersten Reihe sah nur wie Merkel aus, glaube ich, es sei denn der zu ihrer linken Seite war Seehofer. Aber Merkel geht doch nicht mit Seehofer in die Philharmonie. Außerdem ist Merkel morgen bei Sarkozy, da wird sie am Abend vorher nicht mit Simon… Und mal ehrlich, Merkel und die Zweite von Mahler, das passt nun überhaupt nicht. Oder war das Wowereit neben der Merkel? Nee, für den war die Autokolonne eine Nummer zu groß.
Geprobt haben sie nicht so viel. Tamás Velenczei habe ich zum ersten Mal in meinem Leben mit einem Ausrutscher gehört. Am Donnerstag gab es die eine oder andere Unsauberkeit. Wie ich das mag: Das rasche Abgehen des Orchesters vom Podium. Guy Braunstein macht das immer besonders flott.
Konzertmeister Guy Braunstein, Daniel Stabrawa. Andreas Blau Flöte, Jonathan Kelly Oboe. Tamás Velenczei.
Rattle verliert am Freitag im ersten Mahlersatz den Taktstock. Kurzes Bücken, und er hat ihn wieder. Und Guy Braunstein lässt sich schon wieder einen neuen Stuhl holen. Das gabs bei Sibelius doch schon mal.