Die Premieren gelangen. Achim Freyers ästhetisch paranoider Eugen Onegin, Stefan Herheims hartnäckiger Lohengrin, Michael Thalheimers exemplarisch klare Entführung sind zeitgemäßes Musiktheater. Sasha Waltz‘ Dido und Aeneas ist nach wie vor ein Juwel. Weder Freyers noch Herheims Inszenierungen werden Barenboim gefallen haben, doch was soll’s, solange Barenboim dirigiert, wie er dirigiert. Die Reibungen, die durch das Ineinander von Barenboims expansiver Kraft und der – mal virtuosen (Herheim), mal imperativen (Freyers) – Freiheit gelungenen Regietheaters entstehen, waren faszinierendes Charakteristikum dieser Spielzeit. Musikalisch gelangen die drei hypnotischen Tristans sowie die zwei Parsifals von Barenboim und Dudamels glühend leichter Don Giovanni tadellos. Der knochentrockene und hellwache Alexander Vitlin bekam Prokofjews Spieler besser hin als Barenboim, Asher Fisch überraschte mit einem frischgewaschenen Rosenkavalier. Philippe Jordan schafft mit Konstanz verlässliches technisches Niveau. Wann lässt er sich mal gehen? Wann hebt er ab?

Unter den Solisten stechen Christine Schäfer als Konstanze, Magdalena Kozena als Octavian und Matti Salminen als Gurnemanz heraus. Magdalena Kozenas Qualität traf mich auf dem falschen Fuß. So singulär hatte ich die Stimme nicht in Erinnerung. Eigentlich hatte ich die Karten für den Rosenkavalier wegen Dorothea Röschmann gekauft, aber die sang nicht. Vesselina Kasarova gab eine perfekt das kostbare Stimmmaterial kontrollierende und darstellerisch unvergessliche Isabella (L’Italiana). Rolando Villazón sagte Cavaradossi ab und sang Lenski mit vibrierender Emphase und etwas unstetem Kuda, kuda. Sehr gut: Misha Didyk in Prokofjews Spieler, Youn als König Heinrich. Ein ganzes Himalaya des Entzückens: Waltraud Meier als Kundry trotz bekannter etwas flacherer tiefer Lage. Plácido Domingo zu hören ist und bleibt ein unersättliches Vergnügen, auch wenn er den Parsifal singt und auch wenn die Kundry der dollen Meier womöglich um einen ganzen Zacken und aufs Ganze gesehen befriedigender ist. Das italienische Standardrepertoire hat seine Tücken. Kasarova mal ausgenommen, dümpelt es im Schatten der Deutschen Oper etwas dahin. Die Puccini-Inszenierungen sind Untern Linden dann auch noch allesamt mäßig, auch Verdi hat’s nicht immer einfach (Mussbachs Macbeth ausgenommen). Eine Tosca mit Shicoff, Guleghina oder Georghiu an der DOB ist halt dann doch eine Ansage. Wer soll Tristan, Parsifal, Meistersinger dirigieren, wenn DB mal geht? Da kann nur Rattle einspringen. Ich zweifle, ob Rattle Tristan liegt – er macht ihn im Dezember in Wien -, sein Parsifal würde ohne Zweifel einer Explosion der Partitur gleichkommen. Warum nicht im Schillertheater sechs Parsifals konzertant, sagen wir in einer netten Mini-Inszenierung von Achim Freyer, im Herbst drei von Barenboim dirigiert, im Frühsommer drei von Rattle? Nur zum Vergleichen.