Ich bin in Jan Bosses Inszenierung von Rigoletto. Es beginnt mit einer Oper ohne Bühne und endet mit einer Bühne ohne Oper.

Verdis Kunst ohne Umschweife wird bei Bosse zu Umschweifen ohne Kunst. Dass eine solche Verdi-Umrahmung funktionieren kann, haben in der Deutschen Oper letztes Jahr Keenlyside und Schagimuratowa bewiesen. In der letzten Vorstellung der diesjährigen Saison glückt das jedoch eher weniger.

Vorhang auf für den für Brück einspringenden Stefano Meo. Der singt die Titelfigur mit ordentlich melodramma in der Stimme, und – ein Italiener ist qua Geburt Vollblut-Verdianer – mit instinktivem Gefühl. Sein Bariton ist voluminös, von der Textur her eher rau. Linie und Konstanz des Tons sind nicht immer fein. Aber Meos Rigoletto hat dramatisches Temperament. Also ist es doch eine eindringliche Darstellung. So ganz scheint Meo mit seiner Rolle als Bosses Lametta-Maskottchen nicht warm zu werden. Die Gilda von Siobhan Stagg ist ganz das unschuldssüße (Lohengrin, II, 2) Töchterchen, liefert die zarten Pianissimi samt dem Engelston, der im Leid erblüht, singt die verzierten Passagen aber nicht immer elegant. Ihr lyrisches Talent überwiegt ihr dramatisches (und ihr dramatisches ihr darstellerisches).

Yijie Shi, Besitzer eines schmalen Düsenstrahl-Tenors, agiert als Herzog beeindruckend grellmarkant, singt aber ohne allzu viele Ausdrucksfarben. Die Spitzentöne sind sicher. Seine neonbunte Garderobe ist ein Hingucker. Das zu recht berühmte Quartett wird auch heute seinem Ruf gerecht. Aus individuellen Nöten wächst vierstimmig und wundersam Verdi-Wahrheit, aus vertrackt konträren Charakteren rankt sich ein sublimer Kontrapunkt ineinandergefädelter Gefühle. Molto bello. Viel Applaus heimst Gianluca Buratto ein. Er singt einen Sparafucile voll knackiger Schwärze – aber doch auch etwas trockener Orgelwucht. In der Doppelbesetzung Giovanna (Gildas Amme) und Maddalena (Sparafuciles Schwester) geizt Maiju Vaahtoluoto nicht mit Brusttönen der Verführung und aufflammenden Liebe. Sie lässt ihren Mezzo bronzen leuchten.

Prall und präsent zeigt sich wie eigentlich immer bei Verdi der Chor, hier als feiersüchtige Hof(Opern)gesellschaft, die sich bereitwillig von den bösen Borsas und Marullo-Mackern terrorisieren lässt. Schon gemerkt? Ab circa 2025 werden sich Operngeher über die 2010er-Jahre als die Dekade der allgegenwärtigen bühnenhohen Holzvertäfelungen lustig machen.

Ein unerschrockener Verdi-Versteher ist Michele Gamba am Pult des gut aufgelegten Orchesters der Deutschen Oper. Dirigentisch ist das energisch, weniger rhythmisch beschwingt als forsch und geradlinig. Gamba langt zu, das hat Schmackes und Drama und zwar ganz ohne donnernden Knalleffekt. Passt.

Mächtig in Empörung und Fluch ist der Monterone von Samuel Dale Johnson. Gut gesungen auch der Ceprano von Byung Gil Kim, gleiches gilt für Signora Ceprano, verkörpert von Cornelia Kim. Beim Marullo steht Bryan Murray in der Pflicht, den Borsa stemmt James Kryshak. Unter den schmucken Saalöffneruniformen verbergen sich Paull-Anthony Keightley sowie der kecke Paggio von Amber Fasquelle (Al suo sposo parlar vuol la Duchessa).

Dennoch ein schöner, aufregender Abend in der Deutschen Oper.

Nächste Saison pausiert der Bosse-Rigoletto. Ausverkauft war er nicht. Anfang Juni startet die Staatsoper den nächsten Berliner Rigoletto-Versuch.


Meine Kritik zum Rigoletto 2018: Verdi-Tage mit Keenlyside, der Bericht zur Premiere: Der Schurke ist immer der Tenor (Niklaus Hablützel).

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Maiju Vaahtoluoto, Yijie Shi, Siobhan Stagg, Stefano Meo, Gianluca Buratto