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Wie klingen halbvergessene Opern? Im Falle von La Rondine, dem Problemkind aus Puccinis umfangreicher Opernfamilie, kann man nur sagen: sehr gut, oder, um mit Victor de Sabata zu sprechen, „elegant und erlesen“.

La Rondine ist ein flatterhaftes, unentschlossenes Zwischending, als Operette fehlt es an Schmiss, als Oper an Drama. Mit seinen satten drei Akten dauert die lyrische Komödie kurzopernhafte 1:45 Stunden. Ganz vergessen ist Die Schwalbe, so der Titel auf Deutsch, nicht. 2002 zeigte London eine Neuproduktion von Puccinis Sorgenkind (mit Gheorghiu und Alagna), 2009 war diese Produktion an der Met zu hören (mit Gheorghiu und Castronovo).

Die Berliner Wiederaufnahme (Premiere 2015) punktet mit einer hörenswerten Besetzung.

Magda Ermonela Jaho wischt alle Zweifel an der Musik mit ansatzlosen Spitzenpiani und anrührendem Timbre, in dem sich Charakterschärfe und Verletzlichkeit paaren, beiseite. Jeder Akt erfordert ein neues Kostüm: verstaubtes Rostrot im 1. Akt, entzückende Graue-Maus-Optik im 2., mondänes Segeltuchweiß im 3., Jaho macht in allen bella figura. Jaho ist immer Frau, nie Mädchen. Jahos Sopran hat in jeder Lage verschiedene Farbe, er kann dunkel, rauchig klingen und öffnet sich in der Höhe zu purem, fokussiertem Klang. Spielen tut sie zauberhaft, den Raum zwischen Herzenstragödie und leichter Komödie, den La Rondine auftut, ideal nutzend. Ideal besetzt auch der tenorleichte Ruggero von Charles Castronovo (als Pullunderträger mit Herz ein Schwiegermuttertraum), stimmlich ein Herzensdieb, der Ernst und Lyrismus auf der Zunge hat, sobald er nur den Mund aufmacht. Und als Italiener Ton und Farbe einfach besonders gut trifft. Als launische Lisette ist Alexandra Hutton eine quecksilbrige Bühnenerscheinung, überdies mit gertenschlankem Sopran. Den Dichter Prunier singt Matthew Newlin (Knickebocker) mit sympathischem, wendigem Tenor. Als nobel kultivierter Sugardaddy Rambaldo lässt Stephen Bronk auch feine Töne zu.

Die betuliche Regie von Rolando Villazón verpflanzt die Geschehnisse in die 20er Jahre. Das ist nicht besonders einfallsreich. Insgesamt startet der (Ex-)Tenor solide und endet desolat, Akt 3 ist ein Kandidat für die schlechteste Inszenierung eines Opernaktes in Berlin. Etwas uninspiriert auch der altbackene Surrealismus des Bühnenbilds (Johannes Leisacker). Die Musik, die Puccini schrieb – er tat sich wahrlich nicht leicht mit dem leichtgewichtigsten seiner Bühnenwerke – ist von lieblicher Bewegtheit, das Melos üppig, die spätimpressionistisch gelockerte Faktur rundum entzückend.

Schön zu sehen und zu hören, wie in den ersten beiden Akten eine Vielzahl ausgezeichneter Ensemblemitglieder die Bühne agil bespielt. Besonders die Terzette der Damen Yvette (Cornelia Kim, etwas verhangener Sopran) Bianca (Meechot Marrero, prägnant leuchtender Sopran), Suzy (Amber Fasquelle, spannender Mezzo) gefallen. Unauffälliger, vielleicht aber auch nur, weil ich die Oper nicht kannte, die Herrenriege um Paull-Anthony Keightley (Périchaud), Ya-Chung Huang (Gobin), Thomas Lehman (Crébillon) sowie Philipp Jekal (der Haushofmeister).

Aber ein echter Puccini ist es dennoch, lyrisch-weichherzig, melodiensatt und parlandoselig, amourös gezuckert und obendrein eine Art Soft-Version aus Traviata (junges Liebespaar – sie Kurtisane, er frisch entflammt – flieht aus Paris aufs Land) und Bohème (das lärmende Gewusel – hier Bal Bullier, dort Café Momus, das köstlich sich ankeifende Buffa-Paar, Sugardaddy-Konstellation). Für Puccini-Fans flacht die Spannungskurve in Akt 3 nur deswegen deutlich ab, damit man begreift, was für ein dramaturgisch ausgebufftes Meisterwerk La Bohème doch ist. Akt 1 und 2 finde ich nach erstem Hören mitreißend.

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John Fiore ist für eine gute Orchesterleistung verantwortlich. Alles fließt, ist biegsam, geschmeidig, ohne je kaltem Operettenschwung geopfert zu werden. Da sind Wärme, Atem, Esprit, Charme. Die Betriebstemperatur ist nicht zu heiß und nicht zu kühl. Das Tempo scheint selbst mir, dem Rondine-Neuling, goldrichtig.

Selten in dieser Spielzeit an der Deutschen Oper hatte ich so sehr den Eindruck, dass alle Beteiligten am rechten Platz sind.


Kritiken der Premiere von 2015: „Staub und Zucker“ (Frederik Hansen), „Ein parfümiertes, unwirkliches Etwas“ (Clemens Haustein), „Kitsch und Katastrophe“ (Christine Lemke-Matwey)