Macht die nicht gerade zu den vielgespielten Opern zählende Arabella nur Fans von Richard Strauss glücklich?
Das muss Regisseur Tobias Kratzer vermutet haben. Denn Kratzer inszenierte Arabella an der Bismarckstraße stark modernisierend, ziemlich jetztzeitelnd und obendrein reichlich genderfroh. Die bezaubernde Oper Arabella steht eigentlich für ein super Libretto plus hinreißende Musik und fesche Charaktere. Aber denkt man beim lebensfrohen Rosenkavalier an ein entspannt sinnenfrohes Wiener Neo-Rokoko, so bei Arabella unweigerlich an verarmten Adel und Hotelsalons mit staubigen Lambrequingardinen. Und Lambrequingardinen sind genau das, was Kratzer im ersten Akt mit offensichtlicher Zeigelust vorführt.
Spannend und störend bis platt die langen Videos, mal hinter, mal neben dem Bühnengeschehen. In einem Film, aus dem Orchestergraben tönt gerade das vitale Vorspiel zum dritten Akt, merkt Matteo, dass mit der Frau, mit der er im zappendusteren Zimmer schläft, was anders ist (der Schnurrbart!). Im anderen stirbt Zdenka während des doch statthabenden Duells Mandryka-Matteo. Ziemlich ärgerlich: Im ersten Akt laufen die Live-Videos von den Sängern oft nicht synchron mit ihrem Gesang.
Gabriela Scherers Arabella klingt etwas prosaisch. Scherer singt mit Friseusen- statt mit Komtessen-Ton. Aber insgesamt ordentlich. Kratzers Regiekonzept befiehlt, dass die Titelheldin von Akt 1 (höhere Tochter der Sissi-Zeit) nichts mit der von Akt 3 (Stretch-Jeans und Blouson, kess und selbstbewusst) zu tun hat. Was ein Manko ist. Im Zentrum dieser Strauss-Arbeit steht nämlich Zdenka, die eigentlich ein Mädl, aufgrund fehlender Verheiratungsmittel aber ein Bub, in der Liebesnacht plötzlich Frau und zuletzt aus eigener Entscheidung doch lieber Mann ist. Elena Tsallagova spielt das biegsam androgyn und singt berührend warm, aber eben auch vokalnuschelnd und konsonantenfaul.
Einspringer Thomas J. Mayer, der vom Bühnenrand für den erkrankten Russell Braun (der stumm spielt) einen kernig mächtigen Mandryka vorträgt, deutet an, was bei einer adäquat besetzten Premiere möglich gewesen wäre.
Ein Rätsel bleibt, auch beim wiederholten Besuch, weshalb Kratzer den dritten Aufzug in ödes Schwarz-Weiß auslaufen lässt. Was nach dem prachtvollen Plunder von Akt 1 für Seh-Frust sorgt. So werden die übrigens bestens aufgelegt schaupielernden Akteure Objekte in einem geschichtslos abstrakten Bezugsraum. Da hilft auch das dichtgedrängte Gruppenkuscheln des Chors, fatal an die entsprechende Nivea-Werbung erinnernd, wenig.

Ein Hingucker ist der statuarische Waldner von Albert Pesendorfer, den nichts aus der Ruhe bringt, auch nicht der drohende Ruin, und dessen besonnen gerundete Artikulation besonders gefällt. Ihm zur nicht immer treuen Gemahlinnen-Seite steht die Adelaide der Doris Soffel, deren Charakter-scharfe Bühnenpräsenz Ergänzung findet in einer ebensolchen vokalen Gestaltung.
Das Wort „Zigeuner“ wird gesungen, aber in den Übertiteln nicht gezeigt. Dekorativ knutschende Schwulenpärchen hat man auf Berliner Bühnen langsam genug gesehen.
Runnicles ist krank, was zu Enttäuschung führt. Der kurzfristig ersetzende Dirigent Dirk Kaftan leitet. Waren Dirigenten früher härter im Nehmen? Ticciati hats am Rücken, Petrenko am Fuß. Runnicles ist öfters krank. Rattle war während zahlloser Saisons nie krank, sagte erst ganz am Ende der Berliner Zeit einmal ab. Barenboim sagte früher nie ab, man erlebte ihn schmerzgekrümmt zum Podium schreiten. Unter Kaftan entfaltet das Orchester der Deutschen Oper keinen eigenen Klang. Ist laut, aber ohne Charme. Was klingt, als hätte Strauss zu viele Noten komponiert. Was nicht sein kann.
Weitere Premierenkritiken: „Immens jugendlich“ (Judith von Sternburg), „Detailreich nachgepuzzelt“ (Markus Thiel), „Plüschmobiliar und Markartstraüße“ (Gerald Felber)
Die Deutsche Oper kann sich ja mal fragen, warum der Saal bei der erst dritten Vorstellung nach der Premiere kaum mehr als halb voll war.
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Das Sopransterben an der DO geht weiter. Stemme in Elektra, Monastyrska in Forza, Sorensen in Arabella raus und jetzt Harteros aus Manon Lescaut.
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Und jetzt Natalya Romaniw für Serjans Tosca.
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War die gefühligste Tosca seit vielen Jahren.
Keine Routiniere.
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Kann mir auch nicht vorstellen, dass sie im September Santuzza singt.
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Wer jetzt genau?
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Harteros.
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Lieblings-Forza: Mitropoulos, Tebaldi, Barbieri, Monaco, Siepi, Florenz, 53
Kann sein, dass Mitropoulos (wahrscheinlich mit Barbirolli) der in Deutschland am meisten unterschätzte Dirigent ist.
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Sie kommen der Gegenwart langsam näher, wie es scheint. Nur weiter so!
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So genau hab ich mich der Oper oder dem Libretto noch nie beschäftigt.
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Doris Soffels Klytemnästra wäre es vielleicht wert, deshalb nach Dresden zu fahren. Bin früher noch wegen ganz andrer Klytämanestrae wohin gefahren, incl.Mariana Lipovsek.
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