Die Oper Arabella steht seit je etwas abseits, und beleibe nicht in der ersten Reihe von Straussens Opern-Schöpfungen von Salome über Rosenkavalier bis Frau ohne Schatten.

Arabella ist das letzte Opernkind der Künstlerehe Strauss-Hofmannsthal, spielt in seligen k-und-k-Zeiten, Sissi lässt grüßen. Im Vergleich zum Rosenkavalier ist Arabella melodisch heikler und das Milieu realistischer. Ein kroatischer Landmagnat, ein wahrer Naturbursche, soll den verarmten Wiener Stadtadel retten. Diese lyrische Komödie von Strauss und Hofmannsthal ist ein Abgesang auf felix Austria. Und ein Versuch, das Alte, das früher funktionierte, in eine neue Zeit zu retten.

Die Inszenierung von Tobias Kratzer an der Deutschen Oper beabsichtigt genau das. Der Vorhang hebt sich, die Bühne ist zweigeteilt, ein Wiener Luxushotel, zwei Zimmer, 1860er pur. Lambrequingardinen, Krinolinenkleider, üppig florale Seidenstoffe (Kostüme Rainer Sellmaier). Ein dezent huschendes Kamerateam streamt Details live auf eine bühnengroße Gaze-Wand. Der Zuschauer darf wählen, welche Welt die schönere und welche Realität die fremdere ist, der visuelle Prunk des Bühnenbilds oder die verstörenden Video-Stillleben. Apropos schöne, fremde Welt, im zweiten Akt, man steht in einem Eichen-getäfelten Foyer (wie bei Hofmannsthal: Vorraum zu einem öffentlichen Ballsaal, prunkvoll im Geschmack der 1860er Jahre), beginnt die Zeit zu zerfließen, wie die Sachertorte in der Augustsonne. Rasch werden die Zwanziger, Fünfziger, Sechziger Jahre durchlaufen. Man befindet sich in Akt 3 plötzlich in der Gegenwart, mit TikTok-Dreh und Urban-Fashion-Outfit.

Da ist die Bühne radikal entrümpelt, schwarz, weiß, fertig ist die große Leere. Dafür nimmt Arabella auf einmal ihr Leben in die eigene Hand. Kratzer zeigt viel Film (Jonas Dahl, geht so), Zdenka schwankt zwischen Mann und Frau, und zum Schluss, Friede, Freude, Genderkuchen, hat Matteo die Trans-Fahne um die Schultern. Irgendwie geht da eine Reise, die verspielt bis komplex und mit viel Schwung in einem Wiener Hotel begann, ziemlich eindimensional zu Ende – so spannend die riesigen (Frei-)Räume auch sind, die sich zwischen der penetrant altklugen Arabella von 1865 und der patent gewitzten Arabella von 2023 öffnen. Wie die Arabella aber die Beziehung zu dem zerknirschten Mandryka hindeichselt, das ist aller Happy-End-Ehren wert.

Fotos: Deutsche Oper / Thomas Aurin

Sara Jakubiak singt diese Arabella, mit charakteristischem Timbre, über alle Register intensiv, wenn auch ohne typische Arabella-Stimme, ohne jedes Schillern und Schweben des Ausdrucks. Ihr „Richtiger“ ist der kernige Mandryka, stinkreicher Landadel, aber bei Kratzer darf er auch feminin schüchtern sein. Russell Braun trumpft statt mit Macho-Gebärden mit tonschöner Höhe auf, wiegt aber in den Orchesterausbrüchen vokal recht leicht. Männer-Mädl Zdenko bringt mit dem fatalen Schlüssel-Brieferl die Intrige erst ins Rollen, die um ein Haar alle Heiratspläne zum Einstürzen bringt, und will dann, zeitgeistig voll im Trend, die Männerkleider gleich anbehalten (Elena Tsallagova agil und klangstark, aber vernuschelt). Schwächer der Matteo von Robert Watson.

Man erkennt ja bei Arabella sofort den Wert von Hofmannsthals ingeniösem Libretto. Und vielleicht spielt gerade die Komödie Arabella am virtuosesten mit dem gesprochenen und gesungenen Wort, lässt Strauss die Deklamation in zahllosen Nuancen zwischen Rezitativ und Arioso changieren. Es sei also geklagt, dass von den vier Hauptpersonen kein einziger (keine einzige) Muttersprachler ist. Im Duett Arabella-Zdenko im ersten Akt versteht man kaum ein Wort, im dritten Akt ist das verstehende Aufnehmen des Textes beim Tête-à-Tête zwischen Jakubiak und Watson (obendrein mit störendem amerikanischem Akzent) wirklich saure Arbeit. Genug Kritik.

Und der „Papa“, die „Mama“? Er, Graf Waldner (Albert Pesendorfer) deklamiert hier mal nicht zackig als Major a.D., sondern behutsam weich, so dass nicht die degenerierte Adelstype im Zentrum steht, sondern der verständnisvolle Vater, der seine Würde wahrt. Am besten zieht sich die Adelaide der Doris Soffel aus der Affäre, nämlich als zapfige Schreckschraube, die beileibe keine Kostverächterin ist. Den Balltrubel nutzt sie, um sich einen leckeren Jüngling abzurichten. Nebenbei ist Soffel nicht mehr und nicht weniger als die Seele dieser Strauss-Premiere an der Deutschen Oper.

Fesche Galane sind die drei Grafen, der tenorscharfe Elemer von Thomas Blondelle, der Dominik Kyle Miller, der kraftvolle Lamoral Tyler Zimmerman. Frank und frei jodelt die Fiakermilli von Hye-Young Moon, wenn auch nicht gerade mit dem im Libretto erwähnten frechen Ton. Ein Augenschmaus die Kartenaufschlägerin von Alexandra Hutton, während Mandrykas derbe Landtypen nur im Rudel auftreten (Jörg Schörner, Michael Jamak, Robert Hebenstreit).

Donald Runnicles leitet das Orchester der Deutschen Oper souverän, zügig, ohne äußeren Effekt, baut den Klang aus der Vielzahl an Mittelstimmen auf. Das klingt gut und bestens präpariert. Besonders in Akt 1 ist das Orchester eine Freude, leichtfüßig, aber nicht süffig, beschwingt eingespielt, ohne allen ungut prätendierten Wiener Schmäh. Die Buhs sind ungerechtfertigt, es sei denn, man verlangt nach Karajans Schlankheit, Bernsteins Drive und der Noblesse von Krauss, und zwar, i bitt schön, alles auf einmal.

Fazit dieser Berliner Arabella: coole Regie, bei der zum Schluss das eine oder andere Fragezeichen bleibt. Sänger recht durchschnittlich, für Berlin indes bei einer maßgeblichen Premiere einer maßgeblichen Straussoper leicht enttäuschend.

Beifall, aber auch lautstarke Buhs für die Regie, auch GMD Runnicles muss Buhs einstecken, ansonsten Jubel für die Sänger, am meisten für Tsallagova.


Weitere Arabella-Kritik zur Premiere: „Erst dick aufgetragen, dann aber klug ins Heute“ (Joachim Mischke), „Eher verspielt als erhellend“ (Peter Uehling), „Schmaler Schnauzbart, umjubelte Sopranistin“ (Maria Ossowski), „Dichtgetackert“ (Udo Badelt)