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Rattle lässt die vierte Sinfonie Schumanns außerordentlich schnell spielen. Die Philharmoniker spielen die erste Fassung – besonders in den Einleitungen zu den Ecksätzen hört man Unterschiede zur bekannteren zweiten Fassung von 1851. Rattles Lust an der expressiven Betonung setzt im einleitenden „Ziemlich langsam“ den Achtelketten übermächtige Akzente ein. Die Sinfonie wirkt komprimiert, die Exposition wird nicht wiederholt. Darüber hinaus führen die Überlänge der Durchführung und der Verzicht auf eine klassische Reprise zum Eindruck einer fieberhaften Erregung den ganzen Satz hindurch.
Bis zum folgerichtig exzessiv gesteigerten „Schneller“ und „Presto“ des Finales hastet, tänzelt, drängt, rauscht Rattles Dirigat unter flexibelster Anpassung an Farb-, Kontrast- und Texturwechsel vorüber. Was für eine heikle, eigentlich unmögliche Sache für Schumann eine Sinfonie war, war an diesem Abend zu ahnen.
Das packende Scherzo erschien als das labile, rätselhaft-freundliche Zentrum der Vierten Schumanns. Die Scherzi Bruckners, Beethovens, Mahlers und nun auch Schumanns von Simon Rattle dirigiert sind gegenwärtig kaum zu übertreffende Saisonhöhepunkte. Das Finale ist ein Wunder an Atemlosigkeit, man sah förmlich Schumann, wie er verzweifelt Beethoven hinterjagt. Zimmermanns Sinfonie in einem Satz für großes Orchester bestätigte den Rang Zimmermanns. Die zusammengedrängte Kürze setzt es in die Nähe der Sinfonie Schumanns. Es begann mit Schumanns Konzertstück für vier Hörner und Orchester. Tag der Uraufführung war der 25. Februar 1850. Sind 159 Jahre eine lange Zeit oder eine kurze Zeit? Die Solisten 2009 waren die Herren und Damen Radek Baborák, Stefan Dohr, Sarah Willis und Stefan de Leval Jezierski. Das Konzertstück ist das Ideal einer Orchestermusik, die nicht ins Feld des Symphonischen vorstößt – nicht durchführt, Tempo nicht dramatisch meint und Konflikte nicht zuspitzt. Die Hornisten leisten Übermenschliches, allen voran Baborák, zu dessen Repertoire waghalsige Schlenker, eine überschäumende Musikalität und sehr viel Technik gehörten. Das Konzertstück erhält den wärmsten Applaus des Abends.
Mitsuko Uchida? Die japanische Pianistin, gewohnt mager, eilt elastischen Schritts und mit flatternder Seidenbluse auf das Podium. Ihre Bewegungen besitzen etwas rührend Unvermitteltes, ihr Spiel besitzt Frische und Klassizität. Die größte Überraschung ist die sehr weitgehende Symbiose von Orchester und Pianistin. Rattle dirigiert kammermusikalisch intensiv. Von ihm habe ich das noch nicht gehört. Jede Linie war aus nervöser, erregter Musik geschaffen, das Marcato-Tutti der Exposition kommt energisch, doch leicht. Die Holzbläser schimmern. Streicher und Blech spielen vollendet empfindsam. Rattles Schumann ist hitzig und leicht, verspielt und verzweifelt, er ist intensiv und irgendwie weiß diese Musik um ihre Vergeblichkeit. Mitsuko Uchida lässt den Zuhörer im Getümmel der Kadenzen des öfteren im Unklaren, ob sie daneben griff. Die pianistische Leistung ist von einigen Stellen abgesehen deutlich befriedigender als die von Lang Lang zwei Wochen zuvor.